Aerzte zum verlieben Band 48
in ihrem Hals, und in ihren Augen brannten Tränen. Sie würde niemals dieses große Glück erfahren, ein Kind zu stillen, denn für sie war es zu spät.
Doch Melora musste dankbar sein, denn sie hatte großes Glück gehabt. Das Glück, in einer Zeit und Welt zu leben, in der es möglich war, schwere Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln oder gar zu heilen. Nach der Entfernung ihrer linken Brust und der nachfolgenden Chemotherapie war Meloras Prognose gut, und darüber war sie sehr, sehr froh. Dass sie mit einem eigenen Kind viel zu lange gewartet hatte, war ihr eigenes Versäumnis, und damit musste sie nun leben. All die Jahre hatte sie sich nur auf ihre Karriere konzentriert und den Gedanken an Ehe und Familie stets auf später verschoben. Nun war es zu spät für ein eigenes Kind, und Melora beneidete J’tana sehr um ihr großes Glück.
„Was ist, Melora? Geht es dir nicht gut?“
Sie zuckte leicht zusammen und merkte jetzt erst, dass ihr dicke Tränen über die Wangen liefen. Melora biss sich auf die Lippe und schüttelte nur den Kopf, denn sie konnte jetzt einfach nicht sprechen. Stattdessen räumte sie alle Utensilien auf und zog zum Schluss die sterilen Handschuhe aus.
Daniel musterte Melora prüfend. Irgendetwas belastete sie schwer, das sah er ihr deutlich an. Er hatte keine Ahnung, was es war, aber der Ausdruck tiefer Traurigkeit in ihren Augen, als sie eben J’tana angesehen hatte, war ihm nicht entgangen.
Daniel wusste, dass es Ärzte aus dem Ausland aus verschiedenen Gründen nach Tarparnii zog. Manche wollten einfach eine Auszeit nehmen, andere liefen vor irgendwas davon oder hatten ein Trauma oder einen schweren Schicksalsschlag zu bewältigen. Was auf Melora zutraf, wusste Daniel nicht, er konnte nur hoffen, dass diese Insel mit ihren warmherzigen und aufrichtigen Menschen eine ebenso heilende Wirkung auf sie haben würde, wie er es schon bei vielen seiner Freunde erlebt hatte.
Nachdem P’tanay und K’hala auf dem Rücksitz Platz genommen hatten, half Daniel der jungen Mutter in den Jeep. Dann legte Melora ihr vorsichtig das Baby in den Arm und stieg schließlich neben Daniel ein.
Als sie etwa zehn Minuten später das Dorf erreichten, drückte Daniel kräftig auf die Hupe, um anzukündigen, dass sich etwas ganz Besonderes ereignet hatte. Sofort liefen eine Menge Dorfbewohner herbei, und kurz darauf wurden J’tana und ihr Baby von ihren anderen Familienmitgliedern in Empfang genommen und nach Hause gebracht.
„Willkommen in unserem Dorf, Dr. Washington.“
Melora drehte sich um und blickte in die dunklen Augen einer kleinen, schlanken Frau mit grauem Haar und einem warmen Lächeln. „Mein Name ist Feeree, und das hier ist mein Mann Jalak. Er ist das Oberhaupt unseres Dorfes.“ Feeree nahm Meloras Hände und führte zur Begrüßung kleine Kreise aus, wie es zuvor auch Daniel getan hatte.
„Es ist mir eine Ehre, hier zu sein“, erwiderte Melora lächelnd und reichte dann auch Jalak beide Hände. „Ich bin zwar erst vor Kurzem angekommen, aber was ich bisher von dieser schönen Insel sehen durfte, hat mich sehr beeindruckt. Daniel hat mich …“ Sie sah sich nach ihm um, doch er war schon verschwunden.
„Er ist gleich wieder da“, erklärte Feeree lächelnd. „Kommen Sie solange mit, Sie möchten sicher etwas trinken und sich ein bisschen frisch machen.“ Feeree nahm Meloras Arm und ging mit ihr voraus, während Jalak sich ihre große Reisetasche um die Schulter schwang und sie trotz seines hohen Alters von etwa Ende siebzig mit Leichtigkeit zu tragen schien.
Melora fühlte sich wie in einem Märchen, als sie an Feerees Seite durch das Dorf ging. Tarparnii war wahrhaftig eine völlig andere Welt. Die Menschen lebten in Bambushütten mit kegelförmigen Reetdächern, die etwa einen Meter über dem Boden auf Pfählen errichtet waren. Viele der Häuser waren durch Holzstege miteinander verbunden, und Melora vermutete, dass die häufigen und starken Regenfälle in der Regenzeit der Grund für diese Bauweise waren. Vielen Hütten gehörte auch ein kleiner Garten an, mit Gemüsebeeten und exotischen Blumen und Büschen, die Melora noch nie zuvor gesehen hatte. Und überall liefen Hühner, Enten und Ziegen frei herum, und kleine Kinder rannten umher und spielten miteinander Fangen.
Es ist wie in einem bunten Bilderbuch, ging es Melora durch den Sinn, als sie mit Feeree den Dorfplatz erreichte, in dessen Mitte sich eine große Feuerstelle sowie ein Brunnen befanden.
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