Aerzte zum verlieben Band 48
der alle ihre Briefe ungeöffnet zurückgeschickt hatte.
Doch wie er es drehte und wendete – es war Caroline, der er die Hauptschuld gab. Sie hatte ihm erst seine Tochter vorenthalten und dann diese unselige Familienzusammenführung inszeniert. Irgendeine andere, weniger spektakuläre Möglichkeit hätte es sicher gegeben, um mit ihm in Kontakt zu treten.
„Dein Eis tropft auf den Boden!“, bemerkte Caroline in diesem Augenblick.
Jorge sah sie an und begriff, dass er selbst es war, auf den er wütend sein musste. Denn er liebte sie noch immer …
Als sie ihn so vor sich stehen sah, mit dem schmelzenden Eis in der Hand und dem abwesenden Blick, tat er Caroline unendlich leid. Die emotionale Achterbahnfahrt, auf die sie ihn heute geschickt hatte, musste für einen Mann, der seit vier Jahren keine Gefühle zugelassen hatte, sehr schwer zu verkraften sein.
„Es war heute alles einfach ein bisschen zu viel für uns alle“, sagte sie leise, fast entschuldigend. „Wir sollten es langsam angehen lassen, dann werden wir uns jeden Tag ein bisschen mehr an die Veränderungen gewöhnen.“
Ella hatte inzwischen ihr Eis aufgeschleckt und schien müde zu sein. Doch Caroline hatte keine Lust, in die enge Hütte zurückzukehren. Sie zog die Kleine auf ihren Schoß und wiegte sie sanft hin und her. In wenigen Minuten würde Ella eingeschlafen sein.
Jorge sah die beiden an – wäre dies ein Gemälde, dann würde er es „Mutter und Kind“ nennen. Eine plötzliche, nur schwer zu definierende Traurigkeit überkam ihn.
„Ich werde sie nach Hause tragen“, erklärte er, nachdem er sich die Hände abgewischt und die Servietten in den Mülleimer geworfen hatte.
Zögernd reichte Caroline ihm seine schlafende Tochter, die instinktiv ihre Arme um seinen Hals schlang und sich an ihn kuschelte. Genau wie am Nachmittag stürzte ihn der körperliche Kontakt mit ihr in einen Gefühlstumult. Dieses kleine Geschöpf war seine Tochter!
Sein Fleisch und Blut!
An der Hütte angekommen, öffnete Caroline die Tür. „Ist das Bett in dem kleinen Zimmer fertig?“, erkundigte sie sich. „Wenn ja, legen wir sie direkt hinein. Ich schätze, ausnahmsweise können wir einmal aufs Zähneputzen verzichten.“
Zähneputzen? Zum ersten Mal an diesem bedeutsamen Tag kam Jorge der Gedanke, dass zum Vatersein mehr gehörte, als sein Kind zu lieben. Er würde sich mit einer Million Alltagsdingen beschäftigen müssen – zum Beispiel mit Zähneputzen und mit einer ausgewogenen Ernährung. Nudeln und Eiskrem waren langfristig wohl kaum optimal für Ellas gesunde Entwicklung geeignet. Und dann mussten noch ein Kindergarten und später eine Schule ausgewählt werden. Und …
„Was ist nun mit dem Bett? Ist es fertig?“, wiederholte Caroline mit einer leisen Ungeduld in der Stimme.
Schnell schüttelte Jorge die tausend Fragen, die in seinem Kopf herumschwirrten, ab. „Ja, das Bett ist frisch bezogen“, erwiderte er und folgte Caroline in die Hütte. Behutsam legte er Ella hin, und Caroline deckte sie zu und strich ihr eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht.
„Waschen kann sie sich morgen“, erklärte Caroline und zog ihn nach draußen, obwohl Jorge gern noch ein wenig vor dem Bett stehen geblieben wäre, um dieses Wunder, das so unvermutet in sein Leben getreten war, zu bestaunen.
Widerwillig folgte er Caroline aus dem Zimmer. Am besten nahmen sie ein frühes Abendessen ein, denn bestimmt war Caroline von der langen Reise erschöpft.
In der Küche fand er alle nötigen Zutaten für eine Carbonada – getrocknete Bohnen, Mais, Kürbis und Tomaten. Zusammen mit dem Fladenbrot, das Juans Frau am Morgen gebacken hatte, würden seine Vorräte ein akzeptables Abendessen ergeben.
Obwohl er sie nicht sah, spürte Jorge, dass Caroline hinter ihn in die kleine Küche getreten war. Ohne sich zu ihr umzudrehen, sagte er: „Hast du gesehen, dass hinter dem Haus eine Dusche ist? Es ist zwar eine etwas notdürftige Konstruktion, aber meistens ist das Wasser einigermaßen warm. Ich habe dafür eigenhändig einige Solarzellen auf dem Dach montiert. Trinken solltest du dieses Wasser allerdings nicht. Noch nicht einmal zum Zähneputzen ist es sauber genug. Dafür nimmst du am besten nur welches aus dem großen Kanister in der Küche.“
Er hat sich wieder ganz zurückgezogen, stellte Caroline fest, während sie im Schlafzimmer in ihrem Rucksack kramte, um ihren Kulturbeutel und etwas zum Anziehen zu finden.
Warum nur? Hatte es ihn emotional
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