Aerzte zum Verlieben Band 57
Evie erhob sich, und sie waren sich plötzlich nahe, nur der schmale Couchtisch trennte sie voneinander. Sie war versucht, die Hand auszustrecken, ihm zärtlich übers Gesicht zu streichen, als könnte sie damit den Schmerz wegwischen, der tiefe Linien in seine Stirn gegraben hatte. Doch Finn trat plötzlich zurück, so als hätte er ihre Gedanken gelesen.
„Ich bringe dich zur Tür“, sagte er.
Sie war definitiv entlassen.
An der Wohnungstür griff er nach der Klinke, hielt dann einen Moment inne. „Redest du bitte mit niemandem darüber? Sie werden es früh genug erfahren, wenn ich mich beurlauben lassen muss.“
Evie nickte nur.
„Danke.“
So aufrichtig, ohne jeden sarkastischen Unterton, hatte sie ihn noch nie gehört. Vielleicht konnten sie trotz allem doch Freunde sein.
„Gerne. Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast.“ Spontan küsste sie ihn auf die Wange. „Falls du reden möchtest, jederzeit. Ich kann gut zuhören.“
Finn antwortete zwar nicht, aber er hatte ihr Angebot auch nicht rundheraus abgelehnt. Er hielt ihr die Tür auf, und Evie ging zum Lift. Nachdem sie auf den Knopf gedrückt hatte, überlegte sie es sich anders und ging über die Feuertreppe nach unten zu ihrem Apartment. Sie wollte niemandem begegnen. Sie musste nachdenken.
Seit zehn Jahren litt Finn unter den Folgen seiner Verwundung. Sicher war es nicht immer so schlimm gewesen wie jetzt, aber wie hatte er das ertragen? Evie stellte es sich nicht besonders angenehm vor, über den OP-Tisch gebeugt zu arbeiten, wenn man Schäden im Halswirbelbereich hatte.
Sicher waren diese Dauerschmerzen eine Erklärung dafür, dass Finn oft grantig und mürrisch war. Sie fragte sich, wie er wohl ohne diese Schmerzen wäre. Aber es gab keine Garantie, dass der Eingriff erfolgreich verlaufen würde. Was bedeutete es für Finn, wenn er nicht mehr operieren konnte? Der Beruf war sein Leben, so viel hatte Evie inzwischen be-griffen.
Er braucht jemanden, der für ihn da ist. Evie hätte ihren letzten Dollar darauf verwettet, dass Finn niemanden hatte. Sie wäre gern für ihn da.
Aber würde er es zulassen?
9. KAPITEL
Charlie setzte sich an Bellas Bett. Seit zwei Tagen verbrachte er hier jede freie Minute.
„ Ciao , Bella.“ Er nahm ihre Hand. Sie fühlte sich kühl an, aber unter seinem Daumen spürte er ihren regelmäßigen Puls.
Ihre dunklen Wimpern zitterten auf der blassen Haut, doch ihre Augen blieben geschlossen. Bella war immer noch sediert, wurde immer noch künstlich beatmet.
Er verschränkte ihre Finger mit seinen und drückte sanft ihre Hand. „Hörst du mich?“, fragte er, während er hoffte, dass sie seinen Händedruck erwiderte. Selbst die schwächste Reaktion hätte ihn überglücklich gemacht.
Nichts.
Jeden Tag bereute er aufs Neue, dass er ihr nicht gesagt hatte, was er für sie empfand, als er noch die Gelegenheit dazu hatte. Dass er sie brauchte. Dass ohne sie sein Leben leer war.
Der Gedanke, sie nie wieder lächeln zu sehen, nie wieder ihr helles Lachen zu hören, war unerträglich. Charlie hatte nicht vergessen, wie ihre schönen grauen Augen verheißungsvoll schimmerten, als sie ihn bat, sie zu küssen. Als sie mit ihm schlafen wollte … Wie sehr wünschte er sich, noch eine Chance zu bekommen. Er wollte sie nackt in seinen Armen spüren, ihr Lust bereiten und sie voller Leidenschaft lieben.
Trotzdem bedauerte er seine Entscheidung an jenem Abend nicht. Es wäre überstürzt, zu schnell gewesen. Lieber wollte er Bella verwöhnen, ihr in einer langen Nacht voller Zärtlichkeit und Ekstase die Freuden der Liebe zeigen. Außerdem war eine Nacht nicht genug. Nicht für sie und nicht für ihn. Er wollte mehr.
Wenn sie nur endlich aufwachen würde, damit er ihr sagen konnte, was er fühlte.
Und wenn er es jetzt sagte? Komapatienten oder stark sedierte Patienten konnten Gespräche wahrnehmen, Gerüche und Geräusche, auch wenn sie selbst nicht darauf reagierten.
Charlie war fest davon überzeugt, dass ihr Zustand mit ihrer Niedergeschlagenheit vor der Operation zu tun hatte. Bella gab sich auf, ließ langsam los, was sie mit dem Leben verband. Das durfte er nicht zulassen.
Liebevoll schob er die Finger in ihre rotbraunen Locken, barg sein Gesicht darin. Sie waren seidig weich und dufteten nach Bella, ein zarter süßer Duft, den er trotz der Krankenhausgerüche rundherum deutlich wahrnahm.
„Bella?“, flüsterte er. „Bitte wach auf. Du fehlst mir.“ Er beugte sich noch weiter vor, bis er sicher war,
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