Aerzte Zum Verlieben Band 59
fertig brachte, ein Häuflein Elend wie sie nicht weiter zu beachten. Wahrscheinlich wollte er genauso verzweifelt wie sie in die eigenen vier Wände.
Ava empfand es sogar als befreiend, wie seine Schritte sich entfernten, leiser und leiser wurden. Jetzt konnte sie einfach hier sitzen, das Gesicht in den Händen verstecken und weinen. Zu mehr hatte sie keine Kraft.
Sie hörte nicht, dass er umkehrte und zurückkam. Erst als er sich neben sie auf die Stufe setzte, nahm sie ihre Umgebung wieder wahr. Aber da war es zu spät, um die Tränen einzudämmen.
Seit Jahren hatte sie nicht so bitterlich geweint.
Die Tränen der letzten drei Monate zählten nicht. Da war sie nicht zusammengebrochen wie nach ihrer zweiten Fehlgeburt. Da hatte sie nicht so geschluchzt, dass sie glaubte, nie wieder Luft zu bekommen.
Aber nun, während Finn neben ihr saß, zitterte sie am ganzen Körper, und ihr Schluchzen hallte von den Wänden des Treppenhauses wider. Sicher würden gleich ein paar Leute auftauchen, um sich zu beschweren …
Irgendwann jedoch versiegten die Tränen langsam.
„Willst du was?“
Ihre Augen brannten und fühlten sich schrecklich geschwollen an, als sie einen Blick zu Finn hinüberwarf. Der drehte gerade die Flasche auf.
„Ich wünschte, du wärst weitergegangen.“
„Glaub mir, ich habe es versucht.“ Er reichte ihr die Flasche, und sie trank einen Schluck.
Ava konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt Whisky getrunken hatte, geschweige denn ein Glas Wein – von dem Schluck heute Abend bei Pete einmal abgesehen. In der Hoffnung, ein Baby in ihrem Bauch zu behalten, hatte sie einfach alles aufgegeben, auch die kleinen lieb gewordenen Gewohnheiten. Und dazu gehörte, dass sie und James ab und zu gemütlich bei einer Flasche Wein zusammensaßen. Ava sah, was aus ihr geworden war, und sie mochte sich kaum noch leiden.
Diese kleinliche, gesundheitsbewusste, fettarm essende Version ihrer selbst!
Da musste sie wieder weinen. Nicht so heftig, aber die Tränen flossen. Finn blieb stumm neben ihr sitzen.
Ava setzte die Flasche an den Mund, trank und sah dann Finn an. „Ich will nicht reden.“
„Gut. Ich auch nicht.“
Schweigend saßen sie nebeneinander auf der Treppenstufe. Ava atmete tief durch, immer wieder, bekam einen Schluckauf. Schließlich fiel ihr auf, dass sie immer noch Finns Flasche in der Hand hatte, und sie hielt sie ihm hin. „Musst du nicht …?“ Sie sprach nicht weiter. Es ging sie nichts an, ob er vor der OP nüchtern sein musste oder nicht. Außerdem wollte er auch nicht reden, und sie war ihm einfach nur dankbar, dass er da war.
Finn nahm den Whisky nicht. „Ich glaube, du brauchst ihn mehr als ich.“
Nein. Ava setzte den Deckel auf und schraubte die Flasche zu. Keiner von beiden rührte sich, und allmählich ließ auch ihr Schluckauf nach. Sie fragte sich, ob sie die nötige Energie aufbringen würde, die letzten Schritte zu ihrer Wohnung zu gehen. Immer noch hatte sie das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen.
„Es wäre sicher nett von mir, den Arm um dich zu legen, um dich zu trösten“, meinte Finn gewohnt schroff. „Aber ich spüre ihn kaum.“
Das war mit Abstand das Freundlichste, was sie je von ihm gehört hatte, und es trieb ihr wieder die Tränen in die Augen. Ava wandte sich ihm zu und schenkte ihm ein wässriges Lächeln. Nach kurzem Zögern lächelte er zurück.
Und zum ersten Mal verstand sie, was Evie an ihm fand. James konnte man für einen Macho halten, aber Finn führte sich oft wie ein Mistkerl auf – darin waren sich alle einig. Allerdings musste sie zugeben, dass er sich ihr gegenüber immer fair verhalten hatte.
Und Finn betrachtete Ava zum ersten Mal genauer. Sie war ihm immer ein Rätsel gewesen. Ihren Mann mochte er, James war ein großer, entspannter Kerl, mit dem man Pferde stehlen konnte. Ava hingegen … ein seltsames kleines Ding. Manchmal hatte er sie streiten hören, aber wenn er ihr im Flur begegnete, wirkte sie steif und zurückhaltend. Selbst, als sie die Fehlgeburt hatte, machte sie kaum den Mund auf. „Ruf James an“, war alles, was sie sagte.
So prüde und beherrscht konnte sie doch gar nicht sein. Finn wusste, womit sie sich ihre Brötchen verdiente. „Glückspilz“, hatte er James sogar manchmal aufgezogen, wenn sie in Pete’s Bar beim Bier saßen. „Muss toll sein, mit einer Sextherapeutin verheiratet zu sein.“
Inzwischen wusste er, wie blöd solche Sprüche waren. Wegen seiner OP hatte Finn vor zwei Wochen einen
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