Aeternum
Gittertor, das einen gesonderten Bereich vom Rest der Halle abtrennte.
Dann sah sie ihn. Wo eigentlich eine Ecke hätte sein müssen, wich die Wand, vor der die Särge standen, von dem abgegrenzten Besucherweg zurück, öffnete sich in eine Nische.
Dort kniete er. Dicke Ketten wanden sich um seine Handgelenke. Sie hielten ihn zwischen den beiden hintersten Säulen aufrecht, die Arme ausgebreitet. Amanda hatte Flügel, Klauen und Reißzähne erwartet. Hatte Juls Freund nicht gesagt, dass diese Fesseln den Dämon in seine wahre Gestalt zwangen? Doch auf den ersten Blick wirkte er beinahe menschlich. Nur die gefährlich spitzen Hörner störten das Bild. Sie ragten aus einer Flut dunklen, gelockten Haars hervor.
Striemen zierten seine Haut. Hässliche Brandnarben, die sich über die Arme und die nackte Brust wanden. Sofort kamen Amanda Juls Worte über Flammenschwerter wieder in den Sinn. Nur sie konnten einen Dämon dauerhaft verletzen. So viel also zur Güte und Sanftmütigkeit von Engeln.
Der Dämon hing schlaff in seinen Ketten, wirkte nicht, als könne er sich aus eigener Kraft aufrecht halten. War er überhaupt bei Bewusstsein? Konnten Dämonen ohnmächtig werden?
»Rede du mit ihm.« Obwohl Jul flüsterte, hallte seine Stimme in dem Gewölbe wider. »Ich halte Wache. Ruf mich, wenn ich die Fesseln lösen soll.«
Amanda nickte. Eilig kletterte sie über die Gitterabsperrung, zuckte zusammen, als das Sturmgewehr gegen die metallenen Streben stieß. Verdammte Waffe. Für einen Moment war sie versucht, sie beiseitezulegen. Sonderlich gut schießen konnte sie ohnehin nicht. Doch dann rückte sie nur den Gurt zurecht. Das Gewicht an ihrer Seite vermittelte ihr zumindest die Illusion von Sicherheit.
Zwischen staubigen Särgen und Säulen hindurch ging sie auf den Dämon zu. Er hob den Kopf, und Amanda musste gegen Übelkeit ankämpfen. Rote getrocknete Spuren zogen sich seine Wangen hinab, als hätte er blutige Tränen geweint. Kurz lagen seine Augen noch im Schatten, und sie glaubte, man hätte sie ihm ausgestochen. Doch dann blitzten sie im Licht der Lampen. Die Lippen des Dämons verzogen sich zu einem dünnen Lächeln, legten ein wenig zu spitze Zähne frei.
»Amanda.« Die Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern. »Was verschafft mir die Ehre?«
Amanda erstarrte mitten im Schritt. Krätschmers Vermutung war also richtig gewesen. Es gab nur zwei Dämonen, die ihren Namen kannten. Balthasar und Nachasch. Den einen hatte sie betrogen, und die andere hatte sie zum Sterben in ein verdammtes Loch geschickt. Baal war also tatsächlich einer der beiden. Wie viel Pech konnte ein Mensch haben?
Amanda holte tief Luft. Der Dämon konnte ihr nichts tun. Er war gefesselt und eindeutig geschwächt, zur Abwechslung saß sie mal am längeren Hebel. Dennoch zitterten ihre Hände, und sie schob sie wütend in die Taschen ihrer Hose, als sie schließlich näher trat.
In sicherem Abstand blieb sie stehen und musterte ihn. Bis auf die blutigen Spuren waren seine Züge so gut wie unversehrt. Nur eine dünne rote Brandnarbe zog sich unter seinem linken Auge entlang. Sein Gesicht war ihr vollkommen fremd. Natürlich. Immerhin hatte sie bisher weder Balthasar noch Nachasch in ihrer wahren Gestalt gesehen. Nach allem, was sie wusste, konnte die Oberste der Dämonen durchaus in Wirklichkeit männlich sein.
Wer von beiden mochte dort vor ihr knien? Es war doch nicht etwa so einfach?
»Balthasar?«
Ketten klirrten, als er sich um eine geradere Haltung bemühte. Er war es, ganz eindeutig. Die Art, wie er sich bewegte, die Art, wie er sie ansah. »Du bist also Baal. Ein offensichtlicherer Tarnname als Balthasar ist dir wohl nicht eingefallen?«
Sie redete mal wieder, ohne vorher über ihre Worte nachzudenken, als könnte sie damit ihr Herz übertönen, das laut in ihren Ohren pochte. Unwillkürlich hielt sie den Atem an, erwartete, das Prickeln in ihrem linken Arm zu spüren. Doch da kam nichts. Lag es an den Ketten?
Beim Klang seines wahren Namens verdüsterte sich Balthasars Miene. »Müsstest du nicht wissen, wer ich bin, nachdem du mich an die Engel verraten hast? Michael hat sich lange genug damit gebrüstet, wie leicht es war, meine Diener gegen mich zu wenden. Sicher hat es ihm große Freude bereitet, dir auch noch meinen wahren Namen zu verraten.«
Amandas Finger verkrampften sich um den Griff ihrer Waffe. »Hätte ich gewusst, dass er ein noch größeres Arschloch ist als du, hätte er es nicht so leicht
Weitere Kostenlose Bücher