Aeternum
flehenden Tonfall an. Nun erst wurde ihm bewusst, wie viel es ihm bedeutete, Muriel von der Wahrheit seiner Worte zu überzeugen. Nicht nur, weil ihm das lieber war, als einen alten Freund niederzuschlagen und zu fesseln, damit sie ihren Weg fortsetzen konnten, sondern auch, weil es jedes Mal schmerzte, die Worte Verräter oder gar Dämon aus dem Mund von seinesgleichen zu hören.
»Wir sind hier, um ein großes Unglück aufzuhalten, und wir haben nicht viel Zeit. Es wäre sehr viel weniger Aufwand, dich einfach zu erschießen. Aber wie könnte ich das tun?«
Bildete er es sich ein, oder wurde Muriels Blick weicher, nachdenklicher? Um seinen Worten Gewicht zu verleihen, sicherte Jul seine Pistole, schob sie in das Halfter zurück. »Was mein Begleiter getan hat, tut mir leid. Er hat seine gerechte Strafe erhalten.«
Die Augen des anderen Engels weiteten sich, endlich schwand die Kälte aus seinen Zügen. Wie eine Maske fiel sie von ihm ab, und darunter kamen Verzweiflung und Hoffnung zum Vorschein.
»Es hat tatsächlich funktioniert«, hauchte er, noch immer ein wenig ungläubig. »Wieso haben die Erzengel das nicht erkannt? Wieso bist du nicht zurückgekehrt, nachdem du gelernt hattest, mit der Gabe umzugehen, um sie zu überzeugen?«
»Ich bin erst noch dabei, alles zu verstehen. Aber ich glaube, mindestens Michael weiß, dass es funktioniert hat.« Nun war es Juls Stimme, die bitter klang. »Offensichtlich kann er mir dennoch nicht verzeihen.«
»Aber hat der Herr denn nicht auch den Menschen verziehen? Liebte er sie nicht immer noch, auch nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies?«
Wie lang es her war, dass Jul diese Argumentation gehört hatte! Sie hatten nichts gehabt als die Logik, auf die sie sich bei ihrer Entscheidung verlassen konnten, und hatten deshalb jedes Wort des Herrn, jede seiner Taten analysiert. Hatte er nicht vielleicht gewollt, dass Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis aßen? Wieso sonst hätte er ihn so leicht zugänglich machen sollen? Konnte es nicht sein, dass er den Baum für seine Engel im Garten Eden zurückgelassen hatten, damit diese die Möglichkeit erhielten, eigene Entscheidungen zu treffen? Damals hatten all diese Überlegungen so viel Sinn ergeben. Nun nickte Jul nur, um einen alten Freund nicht zu beunruhigen. Er wusste längst nicht mehr, was er glauben sollte.
Ein tiefer Seufzer kam über Muriels Lippen. »Hätte ich das früher gewusst, hätte ich vielleicht den Mut gefunden, deinem Beispiel zu folgen. Doch nun existiert der Garten Eden nicht mehr. Nach deiner Tat haben die Erzengel den Baum der Erkenntnis vernichtet und den Garten den Menschen überlassen. Auch das Himmelreich gibt es nicht mehr, und der Herr selbst liegt schlafend unter der Erde, wie man hört.« Er senkte die Stimme, lehnte sich ein Stück vor. Seine Augen waren groß, voller unausgesprochener Sorgen. »Michael streitet es ab, aber ich habe Gerüchte gehört, der Herr sei tödlich verwundet und … Schlimmeres.«
Jul wich Muriels Blick aus, brachte es nicht über sich, das Gerücht zu bestätigen. Stattdessen wechselte er das Thema. »Kannst du mir sagen, ob hier ein Dämon gefangen gehalten wird?«
Muriels bestätigendes Nicken ließ ihn erleichtert aufatmen. Zumindest würde diese Unternehmung nicht umsonst gewesen sein.
»In den Katakomben. Die Seraphim haben ihn mit Ketten gebunden, die weder er selbst noch irgendeine Art dämonischer Magie brechen kann.« Das erklärte, weshalb Amanda den Dämon nicht hatte beschwören können.
»Ich danke dir.« Jul wollte sich abwenden, doch Muriels Hand schloss sich um seinen Arm.
Sein ehemaliger Waffenbruder sah ihn eindringlich an. »Sag mir, was ich tun soll, Iacoajul.« Diesmal war er es, der flehte. »Sag mir, was richtig und was falsch ist.«
Mit einem Mal erschienen Jul seine eigenen Zweifel bedeutungslos. Er zumindest hatte eine Zukunft unter den Menschen, falls Amandas Plan gelang. Die anderen Engel hingegen waren ohne Führung verloren. Tränen stiegen Jul in die Augen. Was konnte er tun, um Muriel zu helfen? Es gab keine einfache Antwort auf seine Frage.
»Hey, Jul.« Erschöpfung schwang in Amandas Stimme mit, nun, da niemand mehr da war, vor dem sie ihre starke Fassade aufrechterhalten musste. Sie hatte sich Krätschmers Waffe am Haltegurt über die Schulter geschlungen. »Ich will nicht stören, aber wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«
»Die Wahl deiner Begleiter verstehe ich immer noch nicht.« Muriel senkte die Stimme, so dass
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