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Aeternum

Aeternum

Titel: Aeternum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Bottlinger
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Nun würde er zu spüren bekommen, was sie durchgemacht hatte. Wie ein Kaninchen eine Schlange starrte er sie an. Er wusste, dass es ihm nichts nützen würde zu fliehen. Keine Spur von Überheblichkeit stand mehr in seiner Miene.
    Amanda lächelte. Das war, was sie sich gewünscht hatte. Sie streckte ihren Geist nach ihm aus, griff zu.
    Sofort krümmte er sich vor Schmerz.
    »Amanda!« Juls Stimme drang wie von fern an ihr Bewusstsein. Der Geruch kalter Wintertage stieg ihr in die Nase, und seine Hand legte sich warm auf ihre Schulter. »Hör auf, Amanda. Du bist besser als er, du musst ihm nicht mit gleicher Münze heimzahlen, was er getan hat.«
    Mit einem Mal hatte sie einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Verdammt, was tat sie da? Sie hatte ihn töten, hatte ihn loswerden wollen, aber doch nicht …
    Niemals wollte sie sein wie er. Niemals. Sie senkte den Blick, hörte Balthasar erleichtert nach Luft schnappen.
    Aber zusammen mit all der Wut und dem Hass verschwand auch ihr Fokus. Mit Macht drängten die Erinnerungen zurück. Sie biss die Zähne zusammen, kämpfte darum, die Kontrolle zu behalten. Sie musste den Zugang zur Macht aufrechterhalten, musste sie beherrschen! Aber es nützte nichts. Der Sumpf griff nach ihr, zog sie wieder zurück.
    Und unter ihr wellte sich noch immer der Boden. Der Anblick des sich kräuselnden Steins rief eine Erinnerung wach, sie stieg aus den näherdrängenden Fluten.
    »Die Energie, die die Seraphim der Schöpfung entzogen haben, ist jetzt in mir.« Deshalb war die Welt also nicht einfach wieder in Ordnung gekommen. Amanda blickte auf und in blaugrüne Augen. »Jul, ich …«
    Dann schwemmten die Erinnerungen über sie hinweg. Sie wirbelten durch ihren Geist, zerschlugen jeden klaren Gedanken. Sie sah zwei Menschen. Einen Mann und eine Frau, nackt inmitten von Bäumen voller Früchte. Engel kreisten über ihnen, sangen und priesen die Weisheit ihres Herrn. Sie glaubten, er hätte diese nackten Affen geschaffen, hätte sie nach seinem Ebenbild geformt. Dabei hatte er ihnen eigentlich nur die Fähigkeit genommen, zwischen Richtig und Falsch zu entscheiden. Hatte dafür gesorgt, dass sie ihm besser gehorchten als all die anderen, die es auf der Erde schon gab. Doch das ahnte damals noch nicht einmal der eine Engel, der nicht in den Gesang mit einstimmte. Der sich etwas abseits der anderen im Unterholz verbarg. Es war seine Erinnerung, und Amanda spürte, wie der erste Funke der Eifersucht in ihm entflammte.
    *
    »Amanda!« Die Stimme holte sie nur zur Hälfte in die Wirklichkeit zurück. Sie hörte fernes Grollen, spürte starke Arme, die sie hielten, und stetige Erschütterungen.
    »Amanda!« Jul trug sie, und er rannte. Sie blinzelte, doch Staub rieselte ihr in die Augen, und Tränen verschleierten ihr Sichtfeld. »Was auch immer du tust, hör auf damit! Du bringst uns noch um.«
    Verdammt! Wieder blinzelte Amanda, und diesmal erhaschte sie einen Blick auf vorbeiziehende Betonwände. An vielen Stellen schlugen sie Wellen, nicht mehr ruhig und in geordneten Kreisen, sondern chaotisch, als peitsche ein Sturm die Oberfläche eines Sees. Balthasar rief eine Warnung, und Jul warf sich zur Seite. Rumpelnd ging dicht neben ihnen ein Stück der Decke zu Boden.
    Amanda schlang die Arme um Juls Hals und klammerte sich fest. Bewirkte sie dies alles? Sie hatte zuletzt an den Welleneffekt gedacht, hatte sie ihn damit unbewusst beeinflusst? Wenn ja, konnte sie nicht sagen wie. Tränen stiegen ihr in die Augen, diesmal nicht vom Staub. So hätte es nicht laufen sollen, verdammt! Sie musste etwas tun, musste alles wieder in Ordnung bringen. Eilig tastete sie nach der Macht, und fremde Erinnerungen hüllten sie erneut ein. Schmerz, Feuer und Schwefel. Luzifers Erinnerungen. Aber sie waren immer noch besser als die fremden, unverständlichen Gedanken seines Schöpfers, die ebenfalls in der Tiefe ihres Bewusstseins lauerten.
    *
    Nur mit Mühe löste sie sich wieder aus dem Sumpf. Sie klammerte sich an das Gefühl von Stein unter ihr, an Juls Geruch ganz in der Nähe. Dinge aus der realen Welt.
    Diesmal lag sie auf dem Boden, und Stille herrschte um sie herum. Doch sie würde nicht halten, Amanda fühlte die Spannung in der Luft.
    Getaucht in das goldene Licht seiner Schwingen, schwebte Juls besorgte Miene über ihr.
    »Du solltest dir einen anderen Gesichtsausdruck zulegen«, murmelte sie, »wenn du schon so oft das Erste bist, was ich sehe, nachdem ich aus irgendeiner scheußlichen Erfahrung

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