Aeternum
schwor sich auf jeden Fall, alles zu tun, um sein Versprechen zu halten. Er würde sie beschützen, wenn sie es selbst nicht konnte. Eher würde er seine neuen Flügel wieder verlieren, als sie zu enttäuschen.
Baal betrachtete den Haufen Staub zu Juls Füßen mit düsterer Miene, sagte aber nichts.
Sie setzten sich wieder in Bewegung. Schon nach kurzer Zeit endete ihr Aufstieg an einer Wand aus Schutt. Amanda legte den Kopf in den Nacken, starrte einen Riss in der Decke an. »Was denkt ihr, wie weit ist es hier noch bis zur Oberfläche?«
Auch Jul betrachtete die Decke prüfend. Er ahnte, was sie vorhatte, und der Gedanke behagte ihm nicht. »Nicht weit, denke ich«, sagte er dennoch. »Versuch es.«
Amandas Blick ging zu Baal. »Vielleicht wäre es hilfreich, wenn …«
Der Dämon schnitt ihr mit einem knappen Kopfschütteln das Wort ab. Seine Haltung wirkte mit einem Mal angespannt, seine Finger streckten sich zu Klauen. »Du hast genug.«
Mit einem etwas zu betont gleichgültigen Schulterzucken wandte sich Amanda wieder der Decke zu. Jul trat dichter an sie heran, gerade als es über ihren Köpfen gefährlich knirschte. Er breitete die Schwingen aus, hüllte Amanda in einen Kokon aus leuchtenden Federn und schirmte sie damit vor herabrieselnden Brocken ab. In atemberaubender Geschwindigkeit zerbröselte der Beton und stob größtenteils nach oben fort. Staub drang Jul in die Nase, und er musste niesen. Doch als er schließlich aufschaute, blinkten über ihnen die Sterne. Endlich wieder freier Himmel! Ihm war, als würde ein schweres Gewicht von seinen Schultern genommen.
Neben ihm beugte sich Amanda in einem krampfhaften Hustenanfall nach vorn. Er hielt sie fest, als sie das Gleichgewicht zu verlieren drohte, wartete geduldig, bis sie den Staub aus ihren Lungen gehustet hatte.
Schließlich richtete sie sich wieder auf, und ihr Blick suchte Baal, der bereits unter das Loch getreten war. Ledrige Schwingen sprossen aus seinem Rücken.
»Balthasar.« Ihre Stimme klang heiser, aber fest. »Ich erwarte einen deiner Leute in zwei Stunden an der Siegessäule. Mit meinem Bruder. Dich werde ich beschwören und so lange festhalten, bis er in Sicherheit ist.«
Der Dämon wandte sich um, musterte sie abschätzend. »Große Worte für jemanden, der spätestens in ein paar Minuten vor Schwäche zusammenbrechen wird.«
»Für eine verdammte Beschwörung wird es noch reichen.«
Jul legte eine Hand auf Amandas Schulter, fühlte, wie sie zitterte. Baal hatte sich verschätzt, es würde keine Minute mehr dauern.
»Ich werde ihren Bruder bei der Siegessäule abholen.« Er hatte geschworen, ihr zu helfen, also konnte er auch gleich damit anfangen. »Danach sollten wir beide uns darum kümmern, den Kämpfen ein Ende zu setzen. Ich gehe davon aus, dass du tatsächlich alle Dämonen unter deiner Kontrolle hast?«
Baal beantwortete die Frage mit einem Schulterzucken. »Ich glaube nicht, dass irgendjemand überlebt hat, der es wagen wird, mir den Platz an der Spitze streitig zu machen. Wie sieht es bei dir aus? Gehorchen dir die Engel?«
Während er die Geste des Dämons imitierte, breitete Jul seine drei Flügelpaare aus. Es war noch immer ein seltsames Gefühl, vertraut und ungewohnt zugleich. »Diese hier setzen mich an die Spitze der Hierarchie, falls ansonsten kein Seraph überlebt hat. Und Engel streiten nicht um die Führung.«
Fast wünschte er, sie würden es tun, hieße das doch, dass sie selbständige Entscheidungen trafen. Jul war alles andere als erpicht darauf, die Führung zu übernehmen. Aber er konnte die anderen Engel nicht im Stich lassen. Er hatte ihnen den Herrn genommen. Nun musste er ihnen zeigen, wie sie ohne ihn zurechtkamen.
Amanda schwankte, und er schlang einen Arm um ihre Hüfte, zog sie an sich. Währenddessen nickte der Dämon ihnen zu. »Ich brauche etwas Zeit, um alles Nötige zu organisieren, Amanda. Und ich melde mich bei dir, Iacoajul. Die Menschen wissen nun von unserer Existenz. Wir werden viel zu besprechen haben.«
Mit diesen Worten entfaltete er seine Schwingen und schwang sich in die Luft, durch das Loch in den Nachthimmel hinaus.
*
Der Wind strich durch Juls Federn, und unter ihm glitt die Stadt dahin. Es war das erste Mal, dass er das moderne Berlin von so hoch oben sah. Das Meer der Lichter lag unter ihm, immer wieder unterbrochen von dunklen Flecken, wo die Kämpfe der vergangenen Tage ihre Spuren hinterlassen hatten. Doch seit über einer Stunde herrschte dort Ruhe.
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