Aeternum
setzte die Klinge schnell an, und sofort quoll Blut aus einem kleinen Schnitt.
»Mein Blut ist jetzt in deinem. Das gibt dir ein wenig von meinen Fähigkeiten. Konzentrier dich darauf, die Wunde zu verschließen.«
Während sie es versuchte, konnte sie Balthasars steigende Ungeduld spüren. Er stand zu dicht bei ihr, strahlte zu viel Wärme aus, störte ihre Konzentration.
»Stell dir vor, wie sie heilt und sich das Fleisch wieder zusammenfügt.«
Sie tat es und drückte dabei die Wundränder zusammen. Tatsächlich, es funktionierte! Das Blut hörte auf, aus dem Schnitt zu quellen. Kurz juckte es, wie heilende Wunden das manchmal taten. Doch schließlich zeugte nur noch ein dünner roter Strich von der Verletzung.
»Du wirst höchstwahrscheinlich in Begleitung eines Engels sein, und das Federvieh hat Heilkräfte. Allerdings ist es besser, wenn du dich auf niemanden verlassen musst.« Balthasar strich sich das wirre Haar aus dem Gesicht, bis er wieder so gefasst aussah, wie sie es von ihm gewohnt war. Dann wurde seine Stimme beinahe sanft. »Was die Engel betrifft, ist für sie Magie übrigens immer Dämonenwerk. Als gäbe es irgendeinen Unterschied zwischen deren Wundern und Zauberei.« Er schüttelte den Kopf. »Du solltest auf jeden Fall nicht erwähnen, was du kannst. Morgen früh geht es los. Du musst ausgeruht sein, deshalb befreie ich dich von deinen nächtlichen Studien. Geh schlafen.«
Als ob sie schlafen könnte …
7
D ie Nacht war noch immer warm, als Jul den Dom verließ. In Gedanken versunken wanderte er die Straße entlang, vorbei an alten Museumsgebäuden, deren Sandsteinfassaden von Scheinwerfern angestrahlt wurden.
Aufmerksam lauschte er in sich hinein, suchte vergeblich nach der freudigen Erwartung, die er doch eigentlich hätte spüren müssen. Wonach er sich gesehnt hatte, war zum Greifen nah. Hätte er sich nicht erleichtert fühlen müssen? Befreiter?
Stattdessen nagte die alte Frage an ihm. Schon wieder diese Frage, die sich einem Engel eigentlich nicht stellen sollte. Tat er das Richtige?
Zweifler hatte Michael ihn genannt, und damit hatte er unbestreitbar Recht. Lügner hätte er ebenso gut sagen können.
Wütend trat Jul nach einem Stein. War er wirklich schon so tief gefallen? Hatten Michael und sein Bote recht? Trennte ihn von den Dämonen tatsächlich nur noch der letzte Stoß in die Tiefe, das letzte Urteil, das nur sein Schöpfer und Herr über ihn hätte fällen können? Der Herr, den er für tot hielt, wie auch die Dämonen es taten?
Nein, er war ein Engel! Er hatte damals nur versucht, die Augen nicht vor der neuen Situation zu verschließen. Sein einziger Fehler war gewesen, dass er versucht hatte, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, als die Erzengel nicht auf seine Worte hören wollten. Vielleicht hätte er mit etwas mehr Geduld noch einen anderen Weg gefunden. Vielleicht konnte er das immer noch, wenn sie ihn wieder in die Schar aufnahmen. Wenn er sich seinen Weg zurück erschlichen hatte, indem er ihnen allen etwas vorspielte.
Dennoch blieb eine Lüge eine Lüge.
Stimmen rissen ihn aus seinen Gedanken. Jul sah auf und bemerkte, dass er in irgendeine ihm unbekannte Seitenstraße abgebogen war. Über den Hausdächern, nicht weit entfernt, leuchtete das rote Licht an der Spitze des schiefen Fernsehturms. Jul hätte nicht erwartet, dass sich in dieser Gegend noch viele Leute aufhielten, vor allem nicht bei Nacht. Doch aus der Tür einer nahen Kneipe fiel Licht auf den Bürgersteig. Solange keine Einsturzgefahr für diesen Bereich bestand, wollte der Besitzer offensichtlich nicht schließen.
Eine Gruppe Menschen trat heraus. Einer taumelte, stützte sich auf seine Kameraden. Irgendjemand lachte.
»Bebt das schon wieder?«, nuschelte der Taumelnde. »Weil mir is, als würd der Boden schwanken, sag ich euch. Verdammte Erdbeben. Is nur ’ne Frage der Zeit, bis sie wieder stärker werden, wetten?«
Irrte sich Jul, oder klang das Gelächter diesmal etwas zu schrill, beinahe nervös?
»Musst du jetzt wieder davon anfangen?«, ließ sich eine Frau vernehmen.
»Ja, muss ich!« Der Mann stieß unsicher den Finger in ihre Richtung. »Weil ich nämlich keine Lust hab, den Scheiß totzuschweigen wie die verdammte Regierung!«
»Ist ja gut.« Die Stimme eines anderen Mannes. Sie klang beschwichtigend. »Wir haben’s jetzt verstanden. Lass es sein …«
»Ach, ich soll’s sein lassen, ja?« Jetzt brüllte der Betrunkene, und seine Worte hallten durch die leere
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