Aeternum
ihre Zimmertür. Sie durfte nicht … Nein, das war Blödsinn. Michael wusste doch auch, dass ihr selbsternannter Herr sie mit Roman erpresste. Sie musste sich nicht mehr an Balthasars verfluchte Regeln halten, sie hatte sie in der letzten Nacht bereits so weit gebrochen, dass es kein Zurück mehr gab. Auf keinen Fall würde sie den Rest ihres Lebens in Angst vor Verboten verbringen, die nicht mehr galten. Und vielleicht konnte es nicht schaden zu sehen, wie ein anderer Engel auf ihre Situation reagierte. Es würde ihr helfen, Michael besser einzuschätzen.
Amanda holte tief Luft, suchte auf ihrem Rucksack eine gemütlichere Position. »Sie haben uns erwischt.« Sie versuchte, möglichst gleichmütig zu klingen. »Haben uns in den Keller geführt und wollten uns erschießen.«
Ein Scharren erklang, als Jul sich regte. Er lehnte sich wieder vor, die Züge weich, der Blick aufmerksam.
»In dem Moment ist irgendwas bei mir eingerastet. Ich schätze mal …« Sie unterbrach sich. Nur nicht zu viele Gefühle vor dem Engel zeigen. Sie hatte schon genug geheult. Besser, sie hielt die ganze Erzählung knapp und möglichst locker. »Ich schätze, Todesangst kann manchmal Wunder wirken. Auf jeden Fall war das das erste Mal, dass ich meine Magie verwendet habe. Und Balthasar war ziemlich beeindruckt, wie ich die Gewehre seiner Leute zum Schmelzen gebracht habe. Er hat meinen Bruder einsperren lassen und mir erklärt, dass ihm nichts geschehen wird, solange ich nach seinen Regeln spiele. Seitdem arbeite ich für ihn.«
Schweigen senkte sich über den kleinen Raum, nur das Kratzen der Dämonen an der Tür war noch zu hören. Kurz wirkte Jul, als wollte er die Hand nach ihr ausstrecken, doch dann verschränkte er die Finger ineinander, ließ sie auf seinen Knien ruhen.
»Ich nehme an«, sagte er schließlich vorsichtig, »eine der Regeln lautet auch, niemandem von dieser ganzen Sache zu erzählen. Wird er nicht erfahren, dass du sie gerade gebrochen hast? Du hast gesagt, er kann durch deine Augen sehen.« Der Engel deutete auf die Tattoos an Amandas Schläfen.
Sie verzog das Gesicht, tastete über die blutroten Augen, deren Umrisse noch immer brannten. »Nur weil er durch meine Augen sieht, hört er ja noch lange nicht, was ich sage.« Und letztendlich war da noch Michaels Feder, eine leichte Berührung direkt über ihrem Herzen. Sollte sie Jul davon erzählen? Nur für den Fall, dass Michael sein Versprechen nicht hielt, könnte sie ihn ebenfalls um Hilfe bitten, sich so eine weitere Sicherheit verschaffen. Er schien immerhin Mitleid mit ihr zu haben. Doch mit einem Mal beschlich sie das Gefühl, Balthasar könnte sie trotz allem irgendwie belauschen und von Michaels Plänen, ihrer einzigen Hoffnung, erfahren. Was für ein dummer Gedanke. Aber so sehr sie sich auch einredete, dass das unmöglich war, er schnürte ihr dennoch die Kehle zu. Hätte sie nur nichts gesagt!
»Und wie sollte Balthasar sonst davon erfahren?«, zwang sie sich zu fragen. Ihre Stimme klang heiser. Sie räusperte sich, schob die Vorstellung beiseite, dass ihr selbsternannter Herr bereits alles wusste, in diesem Moment auf dem Weg zu Roman war. »Du scheinst dir viel auf deine moralische Überlegenheit einzubilden. Mich an Balthasar zu verraten wäre auch nicht viel besser, als ihm deine Seele zu verkaufen, falls Engel so was haben.«
Zu ihrer Überraschung warf Jul den Kopf in den Nacken, und sein Lachen hallte von den engen Wänden wider. Schnaubend schüttelte er den Kopf. »Moralische Überlegenheit … Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass du ebenfalls über Dinge redest, von denen du keine Ahnung hast?«
»Ach ja?« Amanda verschränkte die Arme vor der Brust, froh, ein Streitthema gefunden zu haben, das sie von ihren düsteren Gedanken ablenkte. »Dann klär mich mal auf, was dieser überhebliche Blick zu bedeuten hat, den ihr alle draufhabt.«
»Der …?« Jul wirkte verwirrt. Er zerzauste sich das Haar mit der Hand, und Staub rieselte herab. Dann lachte er erneut, schüttelte den Kopf. »Misstrauen. Pures Misstrauen. Wir haben zwei Schlachten gegen die Dämonen geschlagen, und der Waffenstillstand hält zwar inzwischen seit ungefähr zweihundert Jahren, aber er wackelt immer wieder bedenklich.«
»Moment …« Amanda hob eine Hand. »Was für zwei Schlachten?«
Jul lehnte sich erneut zurück, doch sie konnte das bittere Lächeln erahnen, das über seine Lippen huschte. »Ich schätze, dann ist es nun an der Zeit, dass ich
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