Aeternum
machen, was sie wollen.« Der Satz hatte nicht wie ein Vorwurf klingen sollen, tat es aber dennoch.
»Sie können nicht machen, was sie wollen. Es gibt Einschränkungen.« Doch Jul hielt ihrem Blick nur einen Moment stand, sah dann zu Boden und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Womöglich wurde bei den Verhandlungen nicht sehr viel Wert auf das leibliche Wohl der Menschen gelegt. Und das Recht, um Seelen zu feilschen, hatten die Dämonen nun mal schon immer.«
Das leibliche Wohl war also eher unwichtig? Michaels Worte kamen Amanda in den Sinn, als er versprochen hatte, sich um Roman zu kümmern. Auch für sein Wohl werde ich sorgen. Meinte er damit überhaupt das, was sie angenommen hatte?
»Wenn ein Engel nur von Wohl redet, meint er dann das leibliche oder doch eher das Seelenheil?«
Halb im Schatten verborgen runzelte Jul die Stirn. »Kommt darauf an. Eher das Seelenheil, wieso?«
Eiseskälte kroch in Amandas Körper. Sie zog die Beine an, schlang die Arme darum. Hatte sie Roman gestern Nacht zum Tode verurteilt? »Ist es euch völlig egal, wenn ein Mensch vor seinem Tod leidet?«
Jul seufzte. »Engel denken anders. Mitleid ist etwas Menschliches. Sie …«
Seine Augen weiteten sich, er starrte auf irgendetwas hinter ihr. Ohne nachzudenken, warf sich Amanda nach vorn. Sie stieß gegen Jul, der sie bei den Oberarmen packte, um ihr Halt zu geben. Ein frischer Hauch wehte ihr entgegen, doch sie nahm ihn nur am Rande wahr. Sie drehte den Kopf. Was war geschehen?
Die Wand, vor der immer noch ihr Rucksack lag, flimmerte, wellte sich, als bestünde ihre Oberfläche aus Wasser, in das soeben jemand einen Stein geworfen hatte. An der Tür kratzten noch immer die Rattenviecher, und gleich würde die Decke über ihren Köpfen zusammenbrechen oder etwas ähnlich Schreckliches geschehen.
Sie würden sterben. Sie hatte Roman verraten, und nun würde sie sterben.
15
D ie gesamte Wand schlug Wellen wie die Oberfläche eines Sees im Sturm. Jul sah sie schon verschwinden, sah die Decke über ihnen einstürzen. Gleichzeitig war er sich überdeutlich Amandas Nähe bewusst, die neben ihm kniete. Sie hatte erstaunlich geistesgegenwärtig reagiert, doch nun starrte sie reglos auf den sich wellenden Beton. Er zog sie näher an sich, noch ein Stück weg von der Wand – mit der bald wer-wusste-schon-was geschehen würde.
Mit einem Mal beruhigten sich die Wellen, schienen sich auf eine Stelle zu konzentrieren. Ein Kreis entstand, etwa halb so hoch wie die metallene Tür, an der die Dämonen noch immer kratzten. Im Halbdunkel wirkte er wie ein Tor in eine andere Welt. Jul hielt den Atem an. Konnte er es wagen, erleichtert zu sein, oder würde das Verderben trotz allem über sie hereinbrechen?
Ein Knall, als zöge jemand den Korken aus einer Weinflasche. Ein kurzer Windstoß wehte Jul das Haar ins Gesicht. Schnell wischte er die weißen Strähnen fort. Er wollte dem Tod zumindest in die Augen sehen.
Wo sich zuvor die Wellen noch kreisförmig ausgebreitet hatten, klaffte nun ein Loch. Es wirkte, als hätte jemand ein Stück aus der Wand gestanzt, so exakt und glatt, wie kein Werkzeug es vermocht hätte. Amandas Rucksack lag vollkommen unversehrt davor, und abgestandene, feuchte Luft schlug ihnen aus der Dunkelheit dahinter entgegen. Neben Jul stieß Amanda ein halb schnaubendes, halb hysterisches Lachen aus. Er konnte sie gut verstehen.
»Das ist ein schlechter Witz«, keuchte sie.
Eine Weile starrten sie schweigend an, was sich dort vor ihnen aufgetan hatte. Dann spürte Jul kühle Finger auf seinen, und nun erst wurde er sich der Tatsache bewusst, dass seine Hand immer noch auf Amandas Oberarm lag.
Er drehte den Kopf, und der Geruch ihres Haars nach Staub und Shampoo wehte ihm in die Nase. Sie streifte seine Berührung ab, gerade als er die Hand zurückziehen wollte.
»Es tut mir leid … ich wollte nur …« Er hatte sie beschützen wollen. Sie, eine Dämonendienerin, Einbrecherin und Hexe. Er biss sich auf die Zunge, um nicht ebenfalls zu lachen. Die ganze Situation wurde immer absurder.
Amanda winkte nur kurz ab, erhob sich und trat näher an die Öffnung. Vorsichtig streckte sie eine Hand aus, fuhr prüfend mit dem Finger über die glatten Kanten. »Wenn das Zufall ist, dann hat er einen seltsamen Humor. Erst dieses Vieh, das uns den Weg hier rein weist, und dann das.« Sie bückte sich nach der Taschenlampe, und der Lichtstrahl fiel in einen ebenfalls kreisrunden Tunnel, der hinter der Wand in die Tiefe
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