Aeternum
wirklich bist.«
»Ein Engel hätte eher einen dramatischen Einstieg durchs Fenster hingelegt, als zu klingeln.«
Jul schüttelte den Kopf. »Glas bricht in der Realität nicht so leicht wie in deinen Action-Filmen.«
Karin ging mit der ganzen Situation erstaunlich gut um, doch er durfte nicht vergessen, dass sie im Vergleich zu Amanda bisher ein behütetes Leben geführt hatte. Sie dachte in Kategorien von Filmen und Büchern, sah dies alles womöglich als ein großes Abenteuer. Mit einem Mal bereute er es, sie in diese Sache hineingezogen zu haben. Besser, sie hätte diesen Krieg irgendwo in Sicherheit ausgesessen.
Er griff nach der Tüte am Boden. Stoff knisterte darin, und sie war recht schwer.
Während Karin sich mit einer weiteren Tüte in den Armen an ihm vorbei in die Wohnung schob, musterte sie ihn aufmerksam. Sein nackter Oberkörper, das vom Duschen nasse Haar. Dann schweifte ihr Blick den kurzen Flur hinab zu Amanda in der Badezimmertür. Auch ihr Haar tropfte deutlich, hinterließ dunkle Flecken im staubigen Jeansstoff seiner Jacke. Mit hochgezogener Augenbraue sah Karin zwischen Jul und Amanda hin und her. Einige Augenblicke herrschte unangenehmes Schweigen. Dann schepperte es leise, als Karin die zweite Tüte abstellte.
»Hat jemand Hunger?«
*
Es gab Döner, auf dem sie lustlos herumkauten. Jul blickte immer wieder aus dem Fenster und suchte den Himmel ab. Einmal glaubte er, einen Schwarm Engel vorüberfliegen zu sehen, und irgendwo in der Stadt stieg eine dunkle Rauchsäule auf. Die Sirenen waren inzwischen ständig zu hören, ansonsten blieb es draußen unheimlich still. Nur ab und zu fuhr ein Auto vorbei, wahrscheinlich auf dem Weg aus der Stadt.
Amanda hatte ihren Döner kaum zur Hälfte gegessen, als sie aufstand und in der zweiten Tüte zu wühlen begann. Sie trug nun eine etwas zu lange Jeans, die sie unten einmal umgeschlagen hatte, und ein schwarzes Spaghettiträger-Top. Karin hatte auch noch eine dünne Jacke für sie gekauft. Erstaunlicherweise versuchte Amanda nicht, ihre Tätowierung unter dieser Jacke zu verstecken. Ein Zeichen, dass sie sich in ihrer aktuellen Gesellschaft relativ unbefangen fühlte, oder doch einfach die nachmittägliche Hitze?
Karins Blick folgte Amandas Bewegungen, wie schon seit einer Weile. Entweder war sie fasziniert oder misstrauisch, ganz sicher konnte Jul das nicht sagen.
»Hat das Tattoo an deinem Arm eigentlich auch irgendeine magische oder was auch immer Funktion wie die Dinger, die an deinen Schläfen waren? Oder ist es nur so eine Art Zugehörigkeitsmarkierung?«
Täuschte er sich, oder versteifte sich Amanda kurz? Als sie antwortete, klang ihre Stimme vollkommen beherrscht. »Es ist die dämonische Version eines Elektroschockhalsbands.«
Karins Lippen formten ein O, und auch Jul schluckte hart an dem Bissen, den er gerade kaute. Es war nur logisch, dass die Dämonen ihre Diener nicht unbedingt verhätschelten, doch er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht. Bis heute waren Dämonendiener für ihn Menschen gewesen, die ihre Seele für Macht und Geld verkauften. Freiwillig. Er hatte nie geahnt, dass jemand wie Amanda darunter sein könnte. Allein die Vorstellung, was sie im letzten Jahr durchgemacht hatte, drehte ihm den Magen um, weckte in ihm den Wunsch, ihrem Meister eine Kugel in den Schädel zu jagen, wenn er ihn das nächste Mal sah. Juls Finger verkrampften sich um sein Essen. Er atmete tief durch, versuchte die brodelnde Wut in seinem Inneren zu besänftigen. Wo kam sie nur her? Woher kam dieses heftige Bedürfnis, Amanda zu beschützen?
»Wo hast du denn die Kreide?« Amanda hockte noch immer neben der Tüte und spähte hinein.
»Irgendwo unter dem Brot, glaub ich.« Karin gestikulierte mit einer Dose Limo und schob mit dem Daumen ihre Brille ein Stück auf dem Nasenrücken nach oben. »Ich hab auch alle möglichen anderen Schreibwerkzeuge mitgebracht. Da war so’n Laden, bei dem die Tür eingeschlagen war und keiner mehr da. Die hatten alles Mögliche. Auch Klebeband. Dachte mir, dass du bestimmt irgendwas auf den Boden zeichnen willst, und bei Teppich wärst du da mit Kreide ziemlich aufgeschmissen gewesen.«
»Ah.« Amanda zog einen Edding aus der Tüte. Als sie sich zu Karin umdrehte, lächelte sie. »Der ist für den Boden hier wirklich besser geeignet.«
Sie hatten nahe der Tür des Raums ihr Lager aufgeschlagen, in dem Jul Amanda die Tätowierungen rausgeschnitten hatte. Den freigebliebenen Teil des Bodens schritt Amanda
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