Aeternum
nun ab. Der Platz schien zu reichen, denn schließlich ging sie in die Hocke und begann zu zeichnen.
Eine Döner-Verpackung raschelte, als sich Karin zu ihm herüberbeugte.
»Nichts gegen Amanda«, flüsterte sie. »Aber warum genau können wir uns sicher sein, dass sie nichts Fieses ruft, das uns beide umbringt? Ich meine, du kennst sie seit heute Morgen.«
»Ich vertraue ihr. Und wenn sie mich hätte umbringen wollen, hätte sie mich unter dem Alexanderplatz einfach den Seraphim überlassen können.«
»Wenn du es sagst …« Karin wirkte nicht vollkommen überzeugt, doch sie verfolgte das Thema nicht weiter, seufzte stattdessen. »Ich hoff, diese ganze Sache endet nicht in einer Katastrophe. Ich meine, eine größere Katastrophe als die, die gerade schon da draußen abgeht. Gott töten …« Sie lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf, als könne sie es immer noch nicht fassen.
Jul sah auf seinen Döner hinab, wickelte dann die Alufolie darum und legte ihn endgültig beiseite. »Das hoffe ich auch. Tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe.«
Karin winkte ab. »Das hier ist viel besser, als daheim zu sitzen und nicht zu wissen, was los ist. Ich komm klar. Die Frage ist, wie’s dir geht.« Ungewöhnlich ernst blickte sie ihn an.
Betont gleichgültig hob er die Schultern. »Erstaunlich gut.«
Noch während diese Worte über seine Lippen kamen, wurde ihm bewusst, dass sie tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Trotz aller Zweifel fühlte er sich so lebendig wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Zum ersten Mal, seit der Herr verschwunden war, hatte seine Existenz wieder ein Ziel, auch wenn es ihm noch immer nicht gefiel. Er lebte nicht mehr einfach so vor sich hin, nur aufrechtgehalten von der Hoffnung, dass irgendwann alles wieder von selbst gut wurde. Er konnte etwas bewirken. Was an ihm nagte, war nicht mehr die Hoffnungslosigkeit eines Verlassenen oder die Einsamkeit eines Verbannten. Es waren nur die Zweifel eines Wesens mit einem Gewissen, das sich fragte, ob es richtig handelte.
Nur seine Flügel … Eilig schob er den Gedanke beiseite. Er hatte seine Entscheidung getroffen, nun musste er mit den Konsequenzen leben.
Eine Weile sahen sie Amanda zu, die mit Edding ein Pentagramm über das in den Linoleumboden eingestanzte Kachelmuster zeichnete. Jul hatte solche Zeichnungen schon gesehen, einmal sogar auf dem Boden eines Bischofgemaches. Doch nun wurde ihm klar, wie wenig er eigentlich darüber wusste. Er hatte Jahrtausende in einem kleinen, abgeschotteten Teil der Welt zugebracht. Er wusste, was ein Engel wissen sollte, und kannte sich vielleicht ein wenig besser mit den Menschen aus als die meisten seiner Artgenossen. Doch er hatte sich nie bemüht, über seinen Horizont hinauszublicken, mehr zu lernen.
Schließlich richtete sich Amanda auf und betrachtete ihr Werk kritisch. »Keine Ahnung, ob das richtig ist. Ich hab so was erst ein paarmal gezeichnet und noch nie aus dem Gedächtnis …«
Für eine Weile hing der Satz im Raum. Jul trat neben sie, betrachtete die Zeichnung und dann Amandas besorgte Miene. »Was geschieht, wenn es nicht richtig ist?«
»Dann kann Baal die Linien übertreten, und ich glaube, er wird nicht sonderlich erfreut darüber sein, dass ich ihn beschworen habe.« Sie grub die Hand in ihr Haar, legte eine der kreisrunden, weißen Narben an ihren Schläfen frei. »Ich glaube nicht, dass er mit sich reden lässt. Der einzige Weg, ihn dazu zu bringen, uns zu helfen, wird sein, ihm zu drohen. Wir lassen ihn erst wieder frei, wenn er uns sagt, wo diese Waffe ist. Aber dafür muss er auch tatsächlich in dem Pentagramm gefangen sein.«
Jul nickte. Ein Dämon, der eine Waffe besaß, die so mächtig war, wie der Morgenstern sie beschrieben hatte, würde sie kaum freiwillig herausgeben. Nicht einmal dann, wenn das Schicksal der Welt davon abhing. Eher würde er versuchen, den Herrn selbst zu töten. Und wenn der Morgenstern die Wahrheit gesagt hatte, würde mit diesem Mord alle Macht des Herrn auf ihn übergehen. Jul schauderte. Daran wollte er lieber gar nicht denken.
Allerdings würde sich erst noch zeigen müssen, ob der Dämon die Waffe tatsächlich besaß. Hätte er dann nicht längst versucht, möglichst viele von seinesgleichen umzubringen, um mehr Macht zu erlangen? Aber möglicherweise ging er langsam und vorsichtig vor, versuchte, so viel Macht wie möglich zu sammeln, bevor irgendjemand merkte, was er tat.
Jul schüttelte den Kopf. Sie würden es früh
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