Aetherhertz
zu trinken.
Danach hatte die Gruppe sich aufgelöst und sie war nach Hause gefahren.
Nun streckte Annabelle sich müde, während sie im Nachthemd und Morgenmantel die Treppe herunter tappte. Sie fühlte sich heute fast verkatert und ging barfuß, ohne nachzudenken in das Zimmer ihres Vaters. Sie kuschelte sich in seinen Lieblingsstuhl, ein weich gepolsterter Ledersessel, zog die Beine hoch und sah in den Garten hinaus.
Plötzlich ließ ein Geräusch sie zusammenzucken. Sie schreckte auf und sah sich um. Paul Falkenberg richtete sich hinter dem Schreibtisch ihres Vaters auf, und sie blinzelte, weil er eine seltsame Brille trug. Sie sah fast aus wie eine Fliegerbrille, mit Schutzkappen an den Seiten, neben dem linken Auge befanden sich noch mehrere Linsen, die man nach vorne klappen konnte. Er hatte nur ein Hemd an, seine Anzugjacke hing über einem Stuhl. Aber er trug Handschuhe und in der rechten Hand einen oberarmdicken Metallzylinder, an dem allerlei Knöpfe angebracht waren.
Sie hatte ganz vergessen, dass er nun jeden Tag hier war! Sie war noch nicht einmal richtig angezogen! Schnell versteckte sie außerdem ihre linke Hand im Ärmel des Morgenmantels.
„ Guten Morgen“, grüßte er und schob die Brille in seine Haare. Damit sah er nun endgültig total wüst aus. Das erleichterte Annabelle, dann würde er ihren Aufzug vielleicht auch nicht so eng sehen. Paul Falkenberg legte den Zylinder auf den Tisch und zog eine weitere, scheinbar ganz normale Brille aus seiner Anzuginnentasche. Damit begutachtete er etwas Kleines, Glitzerndes, das er gefunden hatte. Er hielt es gegen das Licht, und Annabelle erkannte, dass es eine Glasmurmel war.
„ Die gehört mir!“, rief sie erfreut aus. Sie hatte als kleines Kind gerne unter dem Schreibtisch zu Füßen ihres Vaters gespielt. Die Murmel musste schon seit ewigen Zeiten dort liegen.
Der junge Mann ging um den Tisch herum und gab ihr die Murmel, drehte sich weg und wollte wieder zum Schreibtisch gehen.
„ Herr Falkenberg!“, fing Annabelle an. Dann stockte sie. Was wollte sie ihm sagen? Sie konnte ihm ihren Verrat nicht beichten. Sie hatte auch Angst, dass er es schon wusste. Sie wollte sich entschuldigen, fand aber keine Worte dafür.
„ Ja?“ Er drehte sich nur halb zu ihr um und zog seine Brille ab.
„ Danke für die Brosche. Sie ist sehr bewundert worden. Ich gebe Sie Ihnen nachher zurück.“
„ Sie können sie gerne noch eine Weile behalten. Ich brauche sie nicht.“ Kam es ihr nur so vor, oder war sein Ton abweisend?
„ Danke. Aber ich weiß nicht ...“
„ Wir können darüber reden, wenn meine Arbeit hier getan ist.“ Er zog den seltsamen Handschuh aus und legte ihn auf den Schreibtisch. Seltsamerweise machte es ihr heute nichts aus, das er wieder den Arbeitsplatz ihres Vaters belegte.
„ Kommen Sie gut voran?“, fragte sie neugierig.
„ Ich verschaffe mir erst einen Überblick. Ich bin mir noch nicht sicher, welches System ich verwenden soll, um eine Ordnung in die Dinge zu bringen. Ich würde auch gerne jedes Teil fotografieren, ich befürchte allerdings, dass das zu teuer wird. Ich kann nicht besonders gut zeichnen. Wahrscheinlich muss ich dafür jemanden kommen lassen.“ Er sprach sehr schnell und blätterte in seinen Aufzeichnungen.
„ Ich kann zeichnen.“
Paul Falkenberg sah sie nun doch an. Er zog die Stirn kraus. Annabelle wurde rot und wich seinem Blick aus.
„ Ich meine, ich kann ganz gut zeichnen, aber wenn Sie lieber einen Profi kommen lassen möchten, dann kann ich das verstehen ...“
„ Nein“, sagte er schnell. „Es ist nur – ich dachte, Sie hätten eine Arbeit?“
„ Ja, hab ich auch. Ich kann mir die Zeit aber einteilen. Und ich kann Ihnen sicher über einige Fundstücke interessante Geschichten erzählen.“
Der junge Mann lächelte. „Ja, das wäre schön.“ Dann glitt sein Blick nach unten und ganz schnell weg.
Annabelle wurde heiß. Sie hatte definitiv zu wenig an.
„ Ich mache mich dann mal fertig“, sagte sie hastig, und verschwand in ihr Zimmer.
Paul atmete heftig ein und aus und ging zur Terrassentür. Er schob sie weit auf und versuchte sich in der kühlen Herbstluft zu beruhigen. Hatte er tatsächlich gerade zugestimmt, mit Annabelle Rosenherz zusammenzuarbeiten? Hatte er den Verstand verloren? Es kam ihm so vor. Aber das Bild, wie sie dort in dem Sessel geträumt hatte, die langen Haare offen und über ihre Schultern fließend ... Nur mit einem Nachtgewand bekleidet, der Morgenmantel
Weitere Kostenlose Bücher