Aetherhertz
Friedrich war es genug, seinen Teil an der Aufgabe erledigt zu haben. Was danach geschah, interessierte ihn nicht. Er suchte lieber nach neuen Herausforderungen. Sie wollte traurig sein, für ihn, aber das war nicht nötig. Er war genug, so wie er war. In seiner Welt war er gut, und das reichte für sein Glück.
Auch Friedrich war in Gedanken versunken, und wieder einmal waren sie an der Allee angelangt, sahen sie Lichter der Trinkhalle an sich vorbeiziehen. Jetzt könnten sie noch ins Kasino gehen. Noch mal ausgelassen spielen, unter schönen und gut gelaunten Menschen sein, vielleicht tanzen ...
„ Herr Falkenberg“, sagte sie und sah ihn an.
„ Ja?“, fragte er, schaute nach unten, lächelte und sie sah in seinen Augen, dass er ganz weit weg gewesen war.
„ Ich möchte nach Hause.“
„ Fräulein Annabelle ...“, sagte er erstaunt.
„ Nicht“, stoppte sie ihn.
Er hielt an, und schaute ihr noch einmal tief in die Augen, als ob er etwas darin suchte. „Ist es wegen Paul?“
„ Ich weiß es nicht.“ Sie schüttelte den Kopf und wich seinen Augen aus.
„ Verdammt. Das ist mir auch noch nie passiert”, fluchte er.
Annabelle zog eine Augenbraue hoch, denn nun fühlte sie es genau: Er war nur gekränkt, weil er dachte, gegen seinen Bruder verloren zu haben. Es ging ihm nicht um sie. Der ganze Abend war ein Automatismus gewesen, für ihn nur einer von vielen Abenden mit einer netten Frau.
Ihr fiel wieder ein, was Paul gesagt hatte. Zuerst das, was er zu Friedrich gesagt hatte, und dann das, was er zuletzt zu ihr gesagt hatte. Was sie die ganze Zeit verdrängt hatte, weil es zu überraschend gekommen war. Zu verwirrend.
Er hatte: “Behandle sie wie eine Königin“ und „Ich liebe dich“ gesagt.
„ Es gibt immer ein erstes Mal“, sagte sie leise.
* * *
Katharina stürmte in die Konditorei. Sie drängelte sich durch die Kundschaft, die geduldig auf ihre Waren wartete, an der Kasse vorbei in den Hinterraum.
„ Walter!“, rief sie laut, schon bevor sie die Tür zu seinem Büro öffnete.
Ihr Bruder sah von seinen Büchern auf. Katharina erschrak: Er sah schlecht aus. Sie wusste, dass ihr Bruder ein hässlicher Mensch war, ihre Freundinnen machten aus ihrer Abscheu ihm gegenüber keinen Hehl. Schon als sie noch Kinder waren wurde er nur selten geduldet – er sah zeitweilig aus wie eine fette braune Made, so kahl und teigig.
Aber heute hatte er zusätzlich tiefe Schatten unter den Augen.
„ Was ist mit dir?“, fragte sie, verlor aber sofort das Interesse an ihm.
„ Walter, ich brauche deine Praline.“
Walter nickte. Er kannte seine Schwester gut genug, um zu wissen, dass sie sich damit etwas erkaufen musste. Sie lebte in einer Traumwelt. Sie hatte nicht den kleinsten Funken Talent, wollte aber unbedingt ein Star auf der Leinwand sein.
„ Reicht nicht auch ein bisschen Geld?“ Er gähnte.
„ Nein“, kreischte Katharina. Sie stampfte mit dem Fuß auf. Dann suchte sie einen Spiegel. Sie kontrollierte, ob ihr ausladender Hut noch richtig saß. Er war unfassbar schwer, mit all den Pfauenfedern und anderen Verzierungen. Und er musste schräg auf den Kopf sitzen. Ihre Friseurin hatte die Haare der Perücke kompliziert aufstecken müssen, um den Hut so zu platzieren, wie es nach der neuesten Mode richtig war.
Nachdem Katharina auch noch den Sitz ihrer Kleidung und des üppigen Schmuckes kontrolliert hatte, drehte sie sich zu Walter um.
„ Ich muss eine Einladung zu einer Soirée bei Frau Glaser bekommen. Stell dir vor, sie hat Lalique eingeladen! Und sicher wird er seine neuesten Kreationen mitbringen. Ja, natürlich muss ich auch noch mehr Geld haben, ich sterbe sonst, wenn ich nichts von ihm kaufen kann. Aber Walter, ich brauche viel »Herzblut«, dann können sie mich nicht ablehnen.“
Walter verstand seine Schwester. Sie war unerträglich, oberflächlich und eitel. Aber er konnte nicht anders.
Katharina war drei Minuten vor ihm geboren, seine Zwillingsschwester. Zwei haarlose Würmer, die von der stark geschwächten Mutter kaum gepflegt wurden. Sie wuchsen gesund auf, allen Widrigkeiten zum Trotz. Ihre Umgebung ekelte sich vor ihnen und viele verachteten sie ganz offen. In dem kleinen Dorf am Kaiserstuhl kannte jeder jeden, und es gab viele Spekulationen, was ihre Eltern getan hatten, um so eine Strafe Gottes zu verdienen. Das schweißte die Zwillinge noch mehr zusammen. Sie waren sich einig gegen alle und jeden, und vor allem gegen ihren großen Bruder. Der
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