Aetherhertz
machen. Ich kann es kaum erwarten.“
Drei Tage später: “Der Hartmann will mir keinen Kredit mehr geben. Alle haben was bekommen, nur ich nicht. Ich bin ohnmächtig geworden, aber sie haben mich einfach liegen lassen. Ich sterbe. Ich bin wertlos.“
Schließlich: “Ich kann nicht mehr aufstehen. Ich weiß jetzt, dass ich sterben werde. Aber das ist mir egal. Ein Leben ohne »Herzblut« ist kein Leben. Nur wenn ich es gegessen habe, fühle ich noch etwas. Ansonsten bin ich schon tot.“
Annabelle war fassungslos: Da stand es! Und nun fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Ja, das Gift war etwas zu essen. Sie hatte es selbst schon gegessen. Sie hatte nur nicht mehr daran gedacht, weil die Ereignisse sich seither überschlagen hatten. Sie erinnerte sich an die intensive Erfahrung, während sie die Praline gegessen hatte. Aber was war da drin? Sie konnte sich noch nicht einmal an den Geschmack erinnern.
Ein Geräusch hinter ihr riss sie aus ihren Gedanken. Sie bemerkte, dass sie in der rechten Hand noch immer das angebissene Honigbrötchen hielt. Der Honig war ihr schon über die Hand gelaufen und war nun auf dem Weg zum Ellenbogen. Sie drehte sich zur Tür, um Frau Barbara ihre Entdeckung mitzuteilen, aber es war Paul.
„ Paul!“, rief sie aus und freute sich, bevor ihr bewusst wurde, dass er sie schon wieder in einer blöden Situation erwischte, denn sie hatte immer noch keine Handschuhe an. Sie wusste nicht, was sie zuerst tun sollte. Paul lächelte und verfolgte mit den Augen das Brötchen, mit dem sie hektisch herumwedelte, damit er nicht bemerkte, dass sie ihre linke Hand versteckte.
„ Paul, ich weiß es jetzt!“
„ Ja?“, sagte er vorsichtig. „Was denn?“
„ Was die Frauen vergiftet hat!“
„ Aha.“ Er setzte sich ihr gegenüber.
Annabelle fiel es extrem schwer, nicht mit beiden Händen zu gestikulieren. „Ich habe das Tagebuch der Maria Gerber gelesen, und da steht es. Sie war abhängig davon. Paul – es muss irgendetwas darin sein! Hätte ich es doch nur nicht aufgegessen, sondern was davon mitgenommen!“
„ Du hast es auch schon gegessen?“ Paul war besorgt.
„ Ja, aber erst einmal. Wahrscheinlich ist es erst nach ein paar Mal schlimm. Aber wie kommen wir denn daran? Ich muss es testen!“
„ Was ist es denn?“
„ Die Praline »Herzblut«!“
Paul schaute etwas ratlos. „Eine Praline?“
Annabelle nickte, und versuchte dann, ihr Brötchen aufzuessen. Sie bemerkte jetzt erst den auf die Reise gegangenen Honig. Ohne nachzudenken leckte sie sich den Arm ab.
Paul konnte nicht wegsehen. Aber jetzt und hier wünschte er sich, er hätte es nicht gesehen. Er hatte die ganze Nacht an Annabelle denken müssen, um sich schließlich am frühen Morgen selbst davon überzeugt zu haben, dass sie besser nur Freunde waren. Ihre Welten waren zu unterschiedlich, er hatte ihr auf Dauer nichts zu bieten. Sie war reich, auch wenn sie im Moment kein Bargeld zur Verfügung hatte, und er konnte ihr nichts bieten, was sie nicht schon hatte.
Sie war faszinierend und er wusste, dass Frauen ihn langweilig fanden. Es gab keine Gemeinsamkeiten. Und vor allem wollte er sie nicht kompromittieren. Auch wenn sie das nicht wahrhaben wollte, sie hatte einen Ruf zu verlieren. Er arbeitete für sie, und es war nicht schicklich, so etwas auszunutzen. Er musste sie sich aus dem Kopf schlagen. Er hatte trotzdem nicht schlafen können, und war noch einmal in seine Werkstatt gegangen. Das Basteln seiner Miniaturobjekte forderte all seine Konzentration, sodass er für ein paar Stunden vergessen konnte.
Nun saß sie hier, wunderschön wie der heutige goldene Herbstmorgen, und säuberte sich wie eine Katze den Arm mit der Zunge. Es war die reinste Folter. All die wilden Gedanken, die er nicht haben wollte, drängten wieder in den Vordergrund. Er wollte sie ganz nah haben, spüren, riechen, durch ihr Haar fahren, die Wangen streicheln, den Hals küssen, die Schultern, jeden honigbeschmierten Finger, …
„ Paul? Hörst du mir zu?“ Hatte sie etwas gesagt?
„ Ja“, sagte er gequält.
„ Geht es dir nicht gut?“
„ Doch. Ja. Was?“
„ Du hast ja doch nicht zugehört!“ Sie stand auf. „Ich gehe mir schnell die Hände waschen.“
Er sah ihr nach. Dann nahm er sein Taschentuch und wischte sich die Stirn. Herr im Himmel, hoffentlich musste er jetzt nicht gleich aufstehen! Als Annabelle zurückkam, hatte er sich wieder gefasst. Sie war voller Tatendrang und beendete ihr Frühstück ununterbrochen
Weitere Kostenlose Bücher