Aethermagie
turbulenten Tage, die hinter ihr lagen. Charcot nickte, schnalzte mit der Zunge, seufzte, wirkte in zunehmendem Maße unzufrieden mit ihren Ausführungen, aber unterbrach ihren Vortrag nicht.
Kato endete mit: »Heute morgen hat man mir dann den Speisesaal gezeigt und nun bin ich hier. Und wenn ich ganz aufrichtig sprechen soll, Professor Charcot, dann möchte ich Ihre Einrichtung so schnell wie möglich wieder verlassen. Ich fühle mich hier äußerst unwohl.«
Er nickte mehrmals und rieb sich über die Wange. »Liebes Fräulein von Mayenburg«, sagte er dann und beugte sich ein wenig vor, um sie aus der Nähe anzusehen, »ich hatte so etwas befürchtet. Die Veränderung der vertrauten Umgebung und der gewohnten Abläufe, die plötzliche Freiheit, die Erweiterung Ihres Bewegungsradius … es war möglicherweise doch zu früh, diesen Schritt zu unternehmen.«
Kato verstand nicht, was er sagen wollte, aber ihre Nackenhärchen richteten sich auf. Gefahr. Sie musste an Moronis Warnung denken. »Was wollen Sie mir sagen?«
Der Arzt schüttelte mit einer bedauernden Miene den Kopf. »Sie sind eine kluge und tapfere junge Frau«, sagte er. »Dieses Gespräch führen wir beide nicht zum ersten Mal. Ich hatte allerdings gehofft … Ich muss Sie zum wiederholten Male enttäuschen und erschrecken, aber es ist meine Pflicht als Ihr Arzt, das nicht aus Gründen der Schonung zu unterlassen. Wir werden einen Weg finden, der zu Ihrer vollständigen Genesung führt, ich bin, was das betrifft, sehr zuversichtlich.« Er atmete mit einem seufzenden Geräusch aus und wieder ein. »Sie befinden sich seit nunmehr drei Jahren in dieser Einrichtung. Und zwar seit dem Tag, als Ihr Vater unvermutet vor Ihren Augen auf dem Maskenball zu Tode kam …«
Katos Aufschrei unterbrach seine Rede. »Drei Jahre?«
Der Arzt nickte. »Sie haben danach einen schweren Nervenzusammenbruch erlitten und Ihre Frau Mama hat in Übereinkunft mit Ihrem Arzt, Dr. Rados, entschieden, Sie zu mir zu bringen. Ich bin seit drei Jahren Ihr behandelnder Arzt, Fräulein von Mayenburg. Und ich muss sagen, dass wir großartige Fortschritte gemacht haben. Bis vor einigen Monaten haben Sie sich noch nicht mit dem Gedanken an den Tod Ihres Vaters beschäftigen wollen, weil Ihre Schuldgefühle …« Er unterbrach sich und winkte mit einer ungeduldigen Handbewegung ab. »Das tut jetzt nichts zur Sache«, sagte er. »Aber wir sollten überlegen, Sie wieder in den geschützten Teil dieser Institution zu überführen, damit Ihre sich langsam stabilisierende Seelenlage nicht durch den verfrühten Schritt in …«
Kato legte die Hände auf die Ohren. »Ich will Ihre Geschichten nicht hören«, sagte sie fest. »Was auch immer Sie damit bezwecken, es interessiert mich nicht. Bitte lassen Sie mich mit meiner Stiefmutter sprechen.«
Charcot presste in einer kurzen Aufwallung die Lippen zusammen. Dann hob er die Hände und ließ sie resigniert wieder sinken. »Ihre Frau Mutter weilt derzeit, soweit mir bekannt ist, nicht in der Stadt«, sagte er.
»Dann rufen Sie Dr. Rados her«, insistierte Kato.
Charcot knetete mit einer müden Geste seine Nasenwurzel. »Gerne«, erwiderte er. »Wenn es Sie beruhigt.« Er ging zu einer Tür, die in einen Nebenraum führte, und öffnete sie. »Holen Sie mir Dr. Rados«, hörte Kato ihn sagen. Er kehrte zurück und legte die Hände auf die gläserne Abdeckung der sargähnlichen Kiste. Er fixierte Kato eindringlich. »Was auch immer Sie jetzt denken oder zu wissen glauben«, sagte er, »können wir einfach davon ausgehen, dass ich Ihnen nichts Übles will? Heute wollten wir den Versuch wagen, uns Ihren bösen Geistern zu stellen. Sollen wir dies hier abbrechen? Ich lasse Sie gerne wieder auf Ihr Zimmer bringen und wir versuchen es ein anderes Mal, wenn Sie sich wieder etwas gefangen haben.«
Kato wandte den Blick ab und legte die Hand vor den Mund. Sie war hier, niemand konnte ihr helfen – außer möglicherweise Dr. Rados, aber dessen Verhalten bei ihrem Zusammentreffen hatte sie hinreichend befremdet, um sogar das fraglich erscheinen zu lassen. So wie es aussah, war da nur Moroni – ein ehemaliger Patient, wie Angelica ihr gesagt hatte. Die wiederum laut Aussage des Professors eine Lügnerin war. Kato seufzte.
»Da ich Ihnen mehr oder weniger ausgeliefert bin«, sagte sie so kühl, wie es ihr wild klopfendes Herz zuließ, »bin ich bereit, mir zumindest anzuhören, was Sie mit mir vorhaben.«
Professor Charcot nickte mit der Andeutung
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