Aethermagie
eines Lächelns. »Sie sind stärker, als Sie selbst ahnen«, erwiderte er anerkennend. »Andere junge Frauen an Ihrer Stelle wären jetzt in einem Weinkrampf zusammengebrochen.« Die Tür öffnete sich, und Charcot blickte auf. »Ah, Zsigmond. Danke, dass du Zeit hast.«
Dr. Rados trat ein. Er trug nun einen weißen Kittel über seinem Anzug und zog sich ein paar dünne Handschuhe von den Fingern. »Was kann ich für dich tun, Jean-Martin?«
»Unsere junge Freundin hier«, sagte Charcot und blickte väterlich auf Kato. »Ich hatte dir berichtet, welch gute Fortschritte sie macht.«
Rados nickte und sah Kato mit einer ähnlich wohlwollenden Miene an. »Du hast sie in die offene Abteilung verlegen lassen.«
»Gestern«, erwiderte Charcot. »Aber wie es scheint, hat der Wechsel eine Überlastung …«
»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich nicht über meinen Kopf hinweg unterhalten würden«, fuhr Kato auf. Sie spürte den Zorn über diese Unhöflichkeit wie einen heißen, scharfen Schmerz, der ihre Brust zu sprengen drohte.
»Vergeben Sie mir, Fräulein Kato«, sagte Dr. Rados ernst. »Wir haben so lange darauf gewartet, dass Sie wieder zu einigermaßen klarem Verstand kommen, dass ich auch jetzt noch gelegentlich …« Er unterbrach sich, weil Kato einen Unmutslaut ausstieß. »Bitte?«
»Ich möchte von Ihnen wissen, wie lange ich mich hier schon aufhalte«, sagte Kato. Ihr Herzklopfen hatte sich nicht beruhigt, inzwischen pochte es in ihrer Kehle und wummerte in ihren Schläfen. »Sagen Sie mir die Wahrheit!«
Seine Antwort drang kaum durch das Rauschen des Blutes in ihren Ohren: »Drei Jahre, Fräulein Kato. Sie befinden sich seit drei Jahren und zwei Monaten in dieser Anstalt.«
Sie musste in Ohnmacht gefallen sein, denn als sie die Augen aufschlug, saß sie auf einem Stuhl, eine Frau in Wärterinnenkleidung hielt einen Riemen, der ihren Oberarm umspannte, und ein rothaariger Mann in einem weißen Kittel stand über sie gebeugt und zog eine Spritze aus ihrer entblößten Armbeuge.
»Autsch«, sagte Kato unwillkürlich, obwohl sie den Stich nicht gespürt hatte.
Die Wärterin löste den Riemen und nahm die Spritze in Empfang, dann ging sie hinaus. Der Mann sah Kato in die Augen, klopfte ihr gegen die Wange und nickte. »Wieder da? Sie sind nicht mehr ganz so blass, das ist gut. Wie fühlen Sie sich? Wissen Sie, wo Sie sind?«
Kato murmelte »Es geht mir gut«, und sah den Mann an. »Wer sind Sie?«
Er nickte beruhigend, als wollte er ›schon gut, ich verstehe das‹ sagen. »Ich bin Dr. Koller.« Er reichte ihr die Hand. »Können Sie aufstehen?«
Kato stand ein wenig wackelig auf den Beinen, aber sie blieb stehen und sah sich um. Der Schneewittchensarg. Nach und nach fiel ihr ein, wo sie sich befand. Dann kehrte die Erinnerung daran zurück, was Rados und der andere Arzt, Charcot, zu ihr gesagt hatten. Beinahe hätte sie aufgeschrien, aber sie klammerte nur fest die Finger ineinander und nickte mehrmals.
»Sehr schön«, sagte Dr. Koller. »Ich darf Sie vorbereiten, Professor Charcot stößt gleich zu uns. Kommen Sie?« Er hielt ihr die Hand hin, und Kato, nach kurzem Zögern, ließ sich von ihm zu dem gläsernen Behältnis geleiten, das erschreckend einem Sarg glich. Sie blickte hinein, während Dr. Koller den Deckel öffnete, und sah Kupferdrähte, Lederriemen, eine helmähnliche Konstruktion. Die Drähte führten aus dem Behälter hinaus zu einem Kasten auf Rollen, der mit Skalen, Zeigern, Hebeln und Knöpfen bestückt war. Der Arzt beugte sich vor und schloss einige Drähte, die noch lose herumlagen, an den Kasten an, betätigte einen Hebel, und Kato hörte, wie Æther in einen Kolben zischte. Bläuliches Licht schimmerte. Sie konnte den zarten, klagenden Gesang einer Sylphe hören und erschauderte unwillkürlich.
Dem Arzt war ihr Zucken nicht entgangen. »Frieren Sie? Ich beeile mich.«
Es war wirklich frostig in dem gefliesten Raum – so kalt war es doch eben noch nicht gewesen? Katos Zähne begannen plötzlich zu klappern. Die Kälte nahm zu. Atemwölkchen bildeten sich vor ihren Lippen.
»So, fertig.« Dr. Koller richtete sich auf. »Legen Sie sich schnell hinein, ich schließe Sie an.«
Kato sah ihn verblüfft an. »Dort hinein?«, fragte sie und schüttelte sich, teils aus Abscheu, teils vor Kälte.
»Aber ja doch.« Zum ersten Mal lag ein Hauch von Ungeduld in seinen Worten. »Zieren Sie sich nicht, Fräulein von Mayenburg. Sie kennen die Prozedur doch.«
Wieder diese
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