Aethermagie
Misstrauen und äußerste Vorsicht im Blick. »Von wem reden Sie?«
»Die Leuka«, Kato grub nach dem Namen, den der Engel ihr genannt hatte, »Belpharion!«
»Belpharion.« Grünwalds Anspannung lockerte sich. Er wirkte verblüfft. »Er kann nicht wissen, dass ich hier bin. Wie kann er Ihnen von mir … Wo haben Sie ihn getroffen?«
»Ihn? Von wem reden Sie?«
Grünwald winkte ab. »Keine Zeit mehr. Draußen ist Ruhe. Los.«
Sie liefen durch die verlassenen Korridore. Hinter den geschlossenen Türen gellte, schrie, kreischte, heulte ein infernalischer Chor von Stimmen. Erst die Jagd auf den Ausbrecher, dann die Explosion – das hatte die Insassen in höchste Erregung versetzt.
»Die alle wieder ruhig zu bekommen wird eine Mordsarbeit«, hörte Kato Grünwald knurren, als hätte er nicht selbst für den Aufruhr gesorgt.
Er führte sie in einen Gang und kniete sich vor eine Klappe in der Wand, die er mit schnellen Griffen abschraubte. »Passt du da durch?«, fragte er Moroni.
Der Riese gab ein stöhnendes Schnauben von sich. »Das wird eng.« Er kniete sich hin und schob Arm, Schulter, Kopf hindurch. Kato hörte ihn unterdrückt fluchen. »Schaffe es nicht«, keuchte er.
»Doch«, sagte Grünwald. »Ich helfe dir. Atme aus, mein Junge.« Er beugte sich vor und stemmte seine Schulter gegen den halb im Loch steckenden Mann. Mit einem »Hau-Ruck« schob er Moroni durch die Öffnung, und Kato hörte den Riesen auf der anderen Seite schimpfen, stöhnen und lachen. Dann war er durch, zog seine Beine nach und drehte sich, sah durch die Öffnung. »Mir fehlen jetzt einige wichtige Körperteile«, sagte er grinsend.
»Wirst dich dran gewöhnen«, erwiderte Grünwald. »Jetzt Sie, Fräulein Kato.«
Sie kniete schon auf dem Boden und kroch hindurch. Sie fiel in Moronis Arme, der sie festhielt und ihr half, sich aufzurichten, dann beugte sie sich noch einmal zu der Öffnung, sagte: »Danke für alles« und hörte das geflüsterte »Wir sehen uns wieder« des Wärters, bevor er die Klappe wieder einsetzte. Schrauben wurden eingedreht, Schritte entfernten sich hastig.
Kato drehte sich zu Moroni um. Seine wuchtige Gestalt ragte hinter ihr in der Dunkelheit auf wie ein Felsen. »Wir hätten ein Licht mitnehmen müssen«, sagte Kato und strengte ihre Augen an, um etwas zu erkennen.
»Brauchen kein Licht.« Moroni nahm ihre Hand. »Komm.«
10
Der Ausbruch
Sie wurde nicht mehr zum Verhör geholt. Katya verbrachte die endlose, leere Zeit in ihrer Zelle damit, zu schlafen, zu rauchen und an die Decke zu starren. Ihre Hinrichtung war für den nächsten Tag angesetzt worden und wenn kein Wunder geschah, dann würde sie sich um ihren Zigarettennachschub keine Sorgen mehr machen müssen.
Mit diesem fatalistischen Gedanken lehnte sie sich gegen die Wand, steckte die letzte der kostbaren Zigaretten zwischen die Lippen und entzündete sie, als wäre es eine feierliche Handlung. »Rauchopfer«, murmelte sie, blies eine blaue Wolke zur Decke und sah ihr gedankenverloren nach. Wie mochte es sich anfühlen, tot zu sein? War jetzt der geeignete Zeitpunkt gekommen, sich darüber zu grämen, dass sie nicht in die Ewigkeit eingetreten war, ehe man sie füsilierte? Hätte sie doch wenigstens ihre Tochter noch einmal in die Arme schließen dürfen, bevor …
Jemand riss die Tür auf und ließ sie hochfahren. »Mitkommen«, befahl der Wärter barsch. Er griff nach ihrem Arm, bog ihn auf den Rücken, drehte ihren anderen Arm ebenfalls nach hinten und ließ die Handfesseln zuschnappen. Ihre halbgerauchte Zigarette fiel auf den Boden und verglühte. Dann stieß er sie aus der Zelle und den Korridor hinunter. Katya wurden die Knie weich. Er brachte sie nicht in den Verhörraum, sondern bog in einen Gang ein, der leicht ansteigend zur Oberfläche führte. War es so weit? Hatte der Minister entschieden, sie heute schon hinrichten zu lassen – ohne Henkersmahlzeit, ohne Vorbereitung, ohne ihr die Gelegenheit zu geben, noch einmal einen Priester zu sehen? Nicht, dass sie darauf größeren Wert gelegt hätte, aber es gehörte doch zu einem solchen letzten Gang.
Sie schüttelte ihre Schreckstarre ab und wehrte sich gegen den Griff des Wärters, blieb stehen, stemmte die Füße gegen den Boden wie ein bockendes Pferd. »Wo bringen Sie mich hin?«, fragte sie. »Was haben Sie vor …«
»Schnauze«, sagte er und rammte ihr den Ellbogen in die Seite. »Weitergehen.«
Katya keuchte und krümmte sich. Er ließ ihr keine Zeit, sich zu erholen,
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