Aethermagie
Strotter lag. Das Wasser floss dunkel, träge und mit öligem Schimmer zwischen den gemauerten Wänden. Wie tief es war, war nicht zu erkennen. Hier und dort konnte man dunkle Umrisse darin treiben sehen – ob es nun die Kadaver kleiner Tiere waren oder ganz etwas anderes, Kato mochte es sich nicht näher ansehen. Es roch auch nicht gut. Nicht, dass der Gestank überwältigend gewesen wäre (womit sie eigentlich gerechnet hätte), aber man konnte schon die Nase darüber rümpfen. »Da hinüber?«, sagte sie kleinlaut. »Wie sollen wir das bewerkstelligen?«
Jewgenij zuckte die Achseln. »Ich trage dich«, sagte er und machte Anstalten, Kato auf seine Schultern zu heben.
»Warte«, rief sie, »du machst dich doch ganz nass und … und …«, sie hielt sich die Nase zu. »Du musst deine Kleider ausziehen.«
»Ich bin sehr dumm«, lachte er. Seine Nase krauste sich, seine Augen verschwanden in vielen kleinen Fältchen und wie schon einmal zuvor im Brünnlfeld hatte Kato das Gefühl, den richtigen Jewgenij zu sehen, der ein ganz anderer Mann war als dieser langsame, einfältige Riese. Sie konnte nicht mit ihm lachen, weil ihr das Herz vor Mitleid wehtat.
Er begann nun mit aller Sorgfalt seine Jacke und dann das Hemd aufzuknöpfen, beides auszuziehen, dann das Unterhemd, und sich seiner Hose und der Schuhe zu entledigen. Kato sah in einer Mischung aus Faszination und Schrecken dabei zu. Sie hatte noch niemals zuvor einen Mann ohne seine Bekleidung zu Gesicht bekommen. Wahrscheinlich hätte sie ihre Augen abwenden sollen, ganz sicher hätte sie das tun müssen. Sie konnte den entsetzten Aufschrei ihrer Stiefmutter förmlich hören. Aber sie stand wie gebannt und beobachtete, wie er seine Kleider so sorgfältig zusammenfaltete, wie er sie zuvor ausgezogen hatte. Nun trug er nur noch knielange, weiße, vorne geknöpfte … nun … Unterhosen am Leib. Kato spürte, dass sie errötete, und heftete ihren Blick starr auf seine Brust. Seine nackte Brust. Kato hüstelte und ließ ihren Blick höher wandern, auf sein Kinn. Es war ihr mit einem Mal über die Maßen unangenehm, ihm in die Augen zu sehen.
»Wie«, ihre Stimme klang heiser und sie räusperte sich mehrmals, »wie willst du mich nun auf die andere Seite …« Sie machte eine fahrige Geste.
Er schien im Gegensatz zu ihr keinerlei Peinlichkeit zu empfinden. Vollkommen unbefangen ragte er vor ihr auf, kratzte sich nachdenklich am Kopf und blickte das Kleiderbündel zu seinen Füßen an. »Ich bringe zuerst dich hinüber, dann hole ich meine Sachen.«
Kato schluckte und senkte ihre Augen auf seine Füße, die groß und kräftig, mit langen Zehen, neben seinen Kleidern standen. »Ich nehme sie«, sagte sie und hob das Bündel auf. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er sich zu ihr niederbeugte, und unwillkürlich sah sie zu ihm hin. Er war so groß. Sein Körper war ohne die verhüllende Kleidung ganz und gar nicht mehr plump oder ungeschlacht. Massig, ja. Aber es war eine muskulöse Massigkeit, die sie an die uralten griechischen Götter erinnerte, die Titanen. Hyperion, dachte sie. Atlas, der die Welt auf seinen Schultern trägt. Prometheus, der Feuerbringer. Sie lächelte unwillkürlich, und der Titan erwiderte ihr Lächeln, vollendete seine Bewegung und hob sie in einer mühelosen Bewegung auf seine Schultern.
Kato keuchte und klammerte sich an ihm fest. Er trat an den Rand des Kanals und steckte vorsichtig ein Bein ins Wasser, tastete nach dem Grund. Der Strotter auf der anderen Seite lachte. »Was ist denn mit deinem Jungen?«, spottete er. »Wasserscheu? Kann er nicht schwimmen?«
Jewgenij antwortete nicht. Er fand Halt, ließ sein anderes Bein folgen und stand nun frei im Wasser, das ihm knapp bis zur den Oberschenkeln reichte. Kato lockerte ihren Griff und zwang sich, ihren Blick von der trüben Brühe weg auf das gegenüberliegende Ufer zu richten. Unter ihr schwappte und gurgelte es, gelegentlich spritzte es zu ihr herauf. Sie hielt sich fest, spürte die beruhigende Festigkeit der Muskeln unter sich, ihre Bewegung, die stetig und stark war, überließ sich dem sicheren Gefühl des Griffs, mit dem Jewgenij ihre Beine hielt und starrte den Strotter an, der, je näher sie ihm kamen, umso abgerissener und eigentümlicher aussah. Seinen Kopf zierte struppiges, weißes Haar, das er in einen unordentlichen Zopf gebunden trug. Seine Lumpen mussten einmal hochherrschaftliche Kleider gewesen sein – Kato erkannte Reste eines steifen Kragens, Fetzen von vor Schmutz
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