Aethermagie
sagte Jewgenij.
Kato spürte Angst in sich aufsteigen. Sie wusste nicht, wohin sie gebracht werden sollte und Jewgenij, ihr Halt in der Dunkelheit, wollte gehen und sie allein lassen. »Kannst du nicht …«, stammelte sie und unterbrach sich mit einem ärgerlichen Laut. Sie war kein kleines Kind mehr, das eine Hand brauchte, die sie führte und beschützte. »Schon gut«, sagte sie hastig. »Ich bin ein wenig müde, das ist alles. Muss ich diese seltsame Sprache verstehen?«
Jewgenij lachte, und im Widerschein der sich nähernden Laterne sah sie seine Zähne schimmern. »Das ist Gaunersprache«, erwiderte er. »Niemand verlangt von einer jungen Dame, Rotwelsch zu sprechen oder zu verstehen.«
Kato sah misstrauisch zu ihm auf. »Wieso kannst du es denn?« Sie unterbrach sich erneut. Was für eine dumme Frage. Er war ein Verbrecher, das hatte ihr doch jemand in der Anstalt erzählt.
»Ich bin Polizist«, sagte er zu ihrer großen Überraschung. Kato riss den Kopf herum und die Augen auf. Der Mann mit der Laterne war beinahe bei ihnen, und das starke Licht reichte, um Jewgenijs Gesichtsausdruck zu erkennen. Er sah nicht weniger verblüfft aus als sie.
»Du bist was?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf, als hätte er Wasser in den Ohren. »Polizist«, erwiderte er langsam, und fügte stockend hinzu: »Ich war Kommissär. Ich erinnere mich.«
»Aber wie kann das sein?«, rief Kato aus.
Der Mann mit der Laterne blieb vor ihnen stehen. Er schob die Kapuze zurück und enthüllte ein schmales, altersloses Gesicht mit dunklen Augen und einem schwarzen Haarkranz um eine kreisrunde Tonsur. »Ihr sucht die Zuflucht?«
»Dies ist die Baronesse von Mayenburg«, erwiderte Jewgenij. Er schob Kato auf den Mönch zu. »Sie erbittet den Schutz der Zeitlosen.«
»Baronesse«, wiederholte der Mönch. Kato glaubte, Erheiterung in seinen Augen aufschimmern zu sehen. »Nun, wir leben in ungewöhnlichen Zeiten. Ich gewähre Ihnen Zuflucht im Namen der Ewigkeit, Baronesse. Folgen Sie mir bitte.«
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und ging den Weg zurück, den er gekommen war. Kato sah Jewgenij an. Er nickte ihr beruhigend zu. »Geh mit ihm. Wir sehen uns wieder.« Er beugte sich zu ihr und legte die Hand auf ihren Kopf. »Ich verspreche es.« Er richtete sich auf, nickte ihr noch einmal zu und die Dunkelheit verschluckte ihn.
Kato blickte ihm mit einem Gefühl der Hilflosigkeit nach, aber sie konnte nur Schatten und Dunkelheit sehen und hörte nichts außer dem ewigen Tröpfeln und Glucksen des Wassers.
Mit einem ergebenen Seufzen drehte sie sich um und lief hinter der sich stetig entfernenden Laterne her.
Kato folgte dem Mann in der dunklen Kutte eine ganze Weile durch die Gewölbe und Gänge der Kanalisation, bis er endlich eine niedrige Tür öffnete, die tief im Schatten eines überhängenden Simses verborgen lag. An diesem Punkt richtete er zum ersten Mal wieder das Wort an sie: »Du suchst Zuflucht in den Armen der Ewigen Wiederkehr«, sagte er in einem seltsamen Singsang. »Lass die Bewegung enden, Weltkind, und werde zu dem, was du bist: Ein Kind unserer strengen Mutter Zeit.« Er schlug das Zeichen der liegenden Acht in die Luft.
Kato schluckte. »Danke«, sagte sie.
Die ernste Miene des Mönches erhellte sich zu einem Lächeln. Er beugte sich vor und nickte. »Geh zuerst hinein, ich schließe die Tür hinter uns ab.«
Dunkel, eng, bedrückend. Kato verspürte das Bedürfnis, sich aufzurichten, die Arme auszubreiten, tief Luft zu holen, Sonnenlicht zu sehen – alles auf einmal. Aber stattdessen mühte sie sich in gebückter Haltung durch einen feuchten, finsteren Gang, der so eng war, dass ihre Ellbogen an die Wände stießen, wenn sie nicht Obacht gab.
Dann, plötzlich, weitete sich der Gang zu einem nicht minder düsteren Gewölbe, das weniger an von Menschen gebaute Katakomben erinnerte, sondern wie eine natürliche unterirdische Landschaft erschien, von deren riesiger, säulengestützter Haupthöhle Gänge in alle Richtungen abzuzweigen schienen. Ein Höhlenlabyrinth tief unter den Straßen von Wien? Kato sah sich staunend um.
»Sei willkommen«, sagte der Mönch zu ihr. »Dies ist das Mutterhaus des Zeitlosen Ordens, in dessen Obhut du dich geflüchtet hast. Solange du in diesen Mauern weilst, soll nichts Böses dir widerfahren.«
Kato nickte stumm. Mutterhaus. Das war kein Haus. Das war eine finstere, klamme, unheimliche Höhle, in der Fackeln brannten und der Wind, der durch die Gänge strich,
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