Aethermagie
langen Leben nur ein knappes Hundert solcher Menschen begegnet. All diese Sensitiven hatten unser Blut in den Adern.«
Kato stellte den leeren Napf ab und streckte sich. Sie erwiderte seinen Blick, der eine Frage stellte, die sie nicht beantworten konnte. »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich weiß ja noch nicht einmal, ob auch meine Mutter zu den Sensitiven gehörte.« Sie runzelte die Stirn.
»Nein«, sagte der Engel. Er ahmte ihre Bewegung nach, streckte sich wie eine Katze und gähnte. »Nein, Katya ist ein reinblütiger Mensch. Nun, vielleicht bist du ja die Erste deiner Art, etwas ganz und gar Neues.« Er lächelte sie an.
Kato lächelte zurück und runzelte gleichzeitig die Stirn. »Du hast meine Mutter gekannt«, sagte sie langsam. »Wie …?«
Der Leukos hob die Hand. »Sie ist mir bekannt, ja«, sagte er. »Wir sind diesem Orden verbunden und arbeiten gemeinsam an dem Ziel, dem Krieg ein Ende zu bereiten, der unsere beiden Völker schon so lange bedrückt. Dafür bin weder ich bei meinen Leuten, noch ist deine Mutter bei euch Menschen sonderlich beliebt. Es gibt zu viele auf beiden Seiten, die ihren Vorteil aus der Situation ziehen.«
Kato rollte unwillkürlich die Augen. Seine ausweichende Art, auf ihre Fragen zu antworten, ließ ihren Kopf schwirren wie ein Hornissennest. »Meine Mutter«, sagte sie, »wir reden von Katalin von Mayenburg, die vor zehn Jahren ums Leben kam, als sie in den Alpen von einer Lawine verschüttet wurde.«
Der Leukos sah sie mit zur Seite geneigtem Kopf reglos an. Er schien um eine Antwort verlegen zu sein, was nicht recht zu ihm passte. »Nun«, erwiderte er dann zögernd, »ich fürchte, dass ich über Dinge gesprochen habe, die ich vor dir nicht hätte erwähnen dürfen. Es war mir nicht bekannt, dass – es tut mir leid.« Er machte Anstalten, sich zu erheben.
Kato hätte am liebsten gefaucht wie eine Katze. »Du schleichst dich jetzt nicht davon wie ein Dieb«, sagte sie scharf. »Ich muss zu dem Schluss kommen, dass meine Mutter, die ich für tot gehalten habe, noch am Leben ist und dass du sie vor nicht allzu langer Zeit noch gesehen hast. Hier, womöglich.« Sie fixierte ihn.
Der Leukos fuhr sich mit blassen Fingern durch das Haar, das aufstäubte und sich wieder legte wie frischer Pulverschnee. »Ja«, sagte er knapp, und ganz offensichtlich hatte er nicht vor, sich auch nur einen halben Wurm mehr aus der Nase ziehen zu lassen. Er nickte nachdrücklich und stand auf. »Vielleicht solltest du dich mit deinen Fragen an Pater Anselm wenden«, sagte er und ging schnellen Schrittes davon.
Kato starrte ihm nach. Sie war vollkommen verwirrt und durch und durch zornig. Sie nahm ihren Napf und brachte ihn zurück in die Küche, in der zwei magere Novizen mit hochgekrempelten Ärmeln damit beschäftigt waren, einen Berg schmutzige Näpfe zu spülen, und ein dritter Kartoffeln schälte. Auf einem rußigen Ungetüm von Ofen blubberte schon der Eintopf für die Abendmahlzeit vor sich hin.
Kato wanderte ein wenig verloren durch die labyrinthischen Gänge und dunklen Gewölbe des Ordenshauses. Ihre Sorge, sich zu verlaufen und nicht wieder zurückzufinden, ließ mit jedem Gewölbe, das sie durchquerte, nach. Sie begann, das Muster zu erkennen, nach dem die Räume ineinander verschachtelt waren. Wie konnte man hier nur leben, in der ewigen Dunkelheit und Kälte?
Sie fand eine kleine, durch ein flackerndes Öllämpchen erhellte Kammer, in der zwei Hocker wie vergessen an der Wand standen, und setzte sich auf einen davon. Sie lehnte sich an die Wand, die eine unangenehm feuchte Kälte ausströmte, legte den Kopf gegen das raue Mauerwerk und starrte den finsteren Eingang an, durch den sie gekommen war. Vorsichtig, als öffnete sie die Büchse der Pandora, ließ sie die Tür aufspringen, die sie vor ihren verwirrten und bitteren Gefühlen zugeschlagen hatte, und warf einen Blick darauf.
Ihre Mutter lebte. Was immer ihr Vater ihr erzählt hatte über Katalins Unfall, es war gelogen gewesen.
Kato beugte sich vor und stützte den Kopf in die Hände. Wie konnte er das getan haben? Er hatte Katalin aus seinem Leben gestrichen und erneut geheiratet – wie ging das an? Warum hatte er das getan? Warum hatte er sie belogen und im Glauben gelassen, ihre Mutter wäre tot? Wie konnte er so gefühllos gewesen sein?
Kato schüttelte ein paar Tränen aus den Augen und wischte sich ungeduldig über das Gesicht. Das war die eine Seite. Die andere – ihre Mutter hatte sich hier
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