Aethermagie
Schlüsselloch. Dann fiel kaltes Licht in die Dunkelheit.
Er empfand den kräftigen Schubs, mit dem der Wärter ihn anschob, wie den befreienden Axthieb, der eine dicke Schicht Eis über einem Ertrinkenden aufbricht. Keuchend taumelte er aus der Kabine in einen Korridor, der von Merkurlampen an der Decke schattenlos grell ausgeleuchtet wurde. Jewgenij schüttelte den Kopf, um die Beklemmung zu verscheuchen, die ihn immer noch im Griff hatte.
Nach der Stille des obersten Stockwerks fielen hier – wo immer sie auch sein mochten – die betriebsamen Geräusche einer Arbeitsumgebung auf. Klappern und Klirren, Stimmen, Lachen, gelegentlich ein zorniger Ausruf, hastige Schritte, Türenklappen, das Knirschen von Rädern auf dem gefliesten Boden, der Knall, mit dem etwas Schweres zu Boden fiel, das Gemurmel einer Unterhaltung. Ein Schrei, ein Stöhnen. Krankenhausgeruch, darunter der durchdringende Geruch nach Fäkalien.
»Wo sind wir?«, fragte Jewgenij und zwang seinen rasenden Geist zur Ruhe.
»Kellergeschoss«, sagte der Wärter, der ihn in die Kabine begleitet hatte. »Hier ist die wahre Station D.« Er nahm Jewgenijs gefesselten Ellbogen und schob ihn voran. »Du musst dich nicht fürchten.«
Jewgenij sah ihn an. Der kräftige Wärter hatte ihn vorhin nicht geschlagen, sondern die Jacke gehalten, in der er jetzt steckte. »Wo werde ich hingebracht?«, fragte Jewgenij. »Was habt ihr mit mir vor? Ich sollte morgen früh meine erste Behandlung bekommen.«
»Ich hab meine Anweisungen, 329«, sagte der Wärter. Er schob mit der Schulter eine Tür auf und lenkte Jewgenij zu einer hochbeinigen Liege. »Bist du friedlich? Dann nehm ich dir die Jacke ab.«
Jewgenij sah sich unbehaglich um. Ein kleiner steriler Raum mit dieser Liege, einem Kasten auf Rädern daneben, einem kleinen Ablagetisch. Ein Lüftungsgitter hoch oben in der Wand. Keine Fenster – aber wenn sie sich hier im Keller des Gebäudes befanden, war das nicht verwunderlich.
Der Wärter machte sich an den Schnallen und Riemen der Zwangsjacke zu schaffen. »Hatten einen harten Tag«, sagte er wie im Selbstgespräch. »Zwei Probanden sind aufeinander losgegangen, der eine liegt im Koma. Die Arbeit eines halben Jahres zum Teufel. Das macht schlechte Stimmung, weißt du, 329?« Er löste die letzte Schnalle, knotete die langen Ärmel los und richtete sich auf.
Jewgenij warf die Jacke ab und rieb sich die Arme. »Probanden?«
Der Wärter blickte mit erstaunter Miene auf. »Du hast zugehört? Ich bin nicht daran gewöhnt, dass mir einer von euch zuhört oder kapiert, was ich sage.« Er grinste. »Bist du sicher, dass du hier richtig bist?«
»Ich fürchte ja«, erwiderte Jewgenij finster.
Der Wärter lachte und klopfte mit der Hand auf die Liege. »Spring rauf. Leg dich hin. Du musst nichts ausziehen, wir brauchen nur deinen Kopf.«
Jewgenij folgte der Anweisung und sah dem Wärter bei seinen Hantierungen zu. »Was sind Probanden?«, wiederholte er seine Frage.
»Streck mal die Arme aus.« Der Wärter schnallte einen breiten Riemen über Jewgenijs Brustkorb. »Das ist nur, damit du dich nicht verletzt. Wenn man das nicht ordentlich macht, kann es passieren, dass Rippen brechen.« Er zog den Riemen fest. »Die Handgelenke auch. Keine Sorge. Es tut nicht sehr weh.« Er machte sich an Jewgenijs Beinen zu schaffen und trat dann zurück. »Gut. Den Kopf lass ich dir noch frei, bis es losgeht.«
»Probanden«, wiederholte Jewgenij. Er klammerte sich an dieses Wort wie an eine Planke, damit ihn die Angst vor dem, was ihn erwarten mochte, nicht fortriss.
Der Wärter lehnte sich gegen den Türstock und verschränkte die Arme. »Darüber darf ich nicht sprechen. Das ist geheime Forschung fürs Militär.« Er schob mit dem Fuß den kleinen Tisch zurecht. »Du wirst das schon früh genug am eigenen Leib erfahren«, fuhr er fort, ohne Jewgenij anzusehen. »Wer hier unten landet …« Er beendete den Satz nicht, sondern drehte sich zu dem Kasten auf Rädern und schob ihn neben Jewgenijs Kopf. »Der Arzt kommt gleich. Ich leg dir jetzt den Riemen um. Heb den Kopf ein bisschen an.« Mit schnellen, sicheren Handbewegungen schnallte er einen Lederriemen um Jewgenijs Stirn. Von dem Riemen liefen Kupferschnüre zu dem Kasten, an dem Regler und Hebel, Knöpfe und Skalen zu sehen waren.
»Was ist das?«
Der Wärter machte eine unbestimmte Handbewegung. »Das ist eine Ætherbatterie. Über die Drähte wird das direkt in deinen Kopf geschickt. Zappelst ein bisschen herum und
Weitere Kostenlose Bücher