Aethermagie
ihre Arbeit zu tun hatten. Die Berichte der Abteilung gingen direkt ins Kaiserliche Sekretariat und alle Befehle kamen von dort. Wenn jetzt das Kriegsministerium die Drähte zog, würde das einiges an Veränderung mit sich bringen – und sicherlich nichts Gutes.
Katalin griff nach ihrem Mantel und ihrem Hut und verließ das Büro. Sie brauchte frische Luft, um das Chaos in ihrem Kopf zu ordnen.
»K.N.
,
ich denke, wir sollten miteinander reden. Der gewohnte Treffpunkt, Mittwoch um vier. P.J.G.«
Katalin las die Nachricht ein letztes Mal, bevor sie sie zerknüllte und achtlos in die Gosse fallen ließ. Das dünne Papier saugte sich voll mit Schmutzwasser und die Tintenschrift verlief zu blassen Flecken.
Katya schlug den Kragen ihres Mantels hoch. Der dichte Schnürlregen lag wie ein Schleier über der Stadt, ließ alle Gebäude hinter einer zarten Wand aus Wassertropfen verschwimmen und lief unangenehm von der Hutkrempe in ihren Nacken. Sie zog den Kragen enger und beschleunigte ihre Schritte. Was für eine idiotische Anwandlung, die Droschke zwei Straßenzüge von ihrem Ziel entfernt halten zu lassen und den Rest zu Fuß zurückzulegen!
Sie erreichte ihr Ziel, schob die Tür auf, lauschte dem Bimmeln der Ladenglocke und atmete tief ein und wieder aus. Hier herrschte immer das gleiche, sanfte Dämmerlicht, dieselbe stille Atmosphäre, die das Gefühl vermittelte, tief unter Wasser zu sein und alles großstädtische Getriebe irgendwo weit über sich an der Oberfläche zurückgelassen zu haben.
Zwei Jungen standen hinter der Ladentheke und sahen sie fragend und ein wenig erschreckt an. Der größere der beiden, eher schon ein junger Mann, fasste sich als Erster.
»Wir haben geschlossen«, sagte er. »Dachte ich zumindest.«
Katya schlug den Mantelkragen herab und durchquerte den Raum. Der junge Mann war einer der beiden Zwillinge, die der alte Mann irgendwo aufgelesen hatte. Er nannte sie immer seine ›Neffen‹, aber Katya wusste, dass das noch nicht einmal im übertragenen Sinne stimmte. Sie lächelte den Rotschopf an, der im gleichen Augenblick zu erkennen gab, dass er sie erkannt hatte, und ebenfalls zu lächeln begann. »Professor Tiez erwartet mich, Milan.«
»Ah«, der junge Mann vollführte eine kleine Verbeugung, »entschuldigen Sie, Major. Ich hole den Professor.« Er warf dem anderen Jungen einen auffordernden Blick zu und verschwand eilig durch die Tür ins Innere des Hauses.
Katya zog das Zigarettenetui aus ihrer Tasche. Sie musterte den jüngeren Burschen, während sie es aufklappte, eine Zigarette wählte und ihr Feuerzeug hervorholte. Der Junge beobachtete sie fasziniert dabei, wie sie die Zigarette anzündete und einen dünnen Rauchfaden aus der Nase stieß. Er hatte ein blasses, dreieckiges Gesicht mit großen Augen und weißblondes Haar.
»Und wer bist du?«, fragte sie ihn. »Auch ein Neffe?«
Der Junge senkte den Blick. »Nein«, murmelte er. Die Frage schien ihn zu ärgern. Warum? Sie lächelte ihn an, um ihm seine Scheu zu nehmen. Wie alt mochte er sein? Etwas jünger als ihre Tochter. Schlaksig, verängstigt. Seine Kleider waren zerlumpt, er sah halb verhungert aus. »Nein«, wiederholte sie sanft. »Und weiter?«
Er sah erschreckt aus, suchte nach einer Antwort, und während er das tat, erkannte sie das doch so Offensichtliche: Der Junge war ein Engel – oder, noch wahrscheinlicher: ein Engelhalbblut. Was musste das arme Kind erduldet haben – und was für ein Glück, dass er hier bei Horatius Tiez einen sicheren Unterschlupf gefunden hatte!
Sie wollte den Jungen gerade fragen, wie er hierher gelangt war und ob der Professor sich gut genug um ihn kümmerte, da flog die Tür auf und Horatius Tiez eilte herein, ein besorgtes Lächeln auf dem Gesicht und die Hand zum Gruß ausgestreckt. »Katalin, meine Liebe«, sagte er. »Was führt Sie hierher? Ist etwas geschehen? Kommen Sie, gehen wir hinein.«
»In einer Stunde kommt ein alter, lange und schmerzlich vermisster Freund hierher, um uns zu treffen«, sagte sie. »Ich muss mich vorher sehr dringend mit Ihnen beraten, Horatius.«
Er hielt ihr schweigend die Tür auf.
Sie folgte ihm durch das verwirrende Innere seines Hauses. Der Korridor war düster und mit Regalen und Schränken an beiden Seiten vollgestellt, in denen das Konvolut eines wahnsinnigen Sammlers lagerte: Bücher und Spielzeug, Geschirr und Maschinenteile, Werkzeug und Pfannen, Puppen und zerbrochene Vasen, Kisten mit Schrott und Schachteln voller Zahnräder und
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