Aethermagie
Uhren. Uhren in allen Größen, von der kleinsten zierlichen Damentaschenuhr bis zur deckenhohen Standuhr, die meisten von ihnen tickten und tackten, Pendel schwangen von rechts nach links, von links nach rechts und keine zwei Zifferblätter zeigten die gleiche Zeit an.
Dieser düstere, sich scheinbar in die Unendlichkeit erstreckende Korridor war das Herz der Liegenden Acht, der Beginn und das Ende von allem, die in sich verschlungene Raumzeit. Tiez öffnete eine Tür zwischen zwei Bücherregalen, die noch vor einem Wimpernschlag dort nicht existiert hatte.
Das Wohnzimmer hinter dieser Tür kannte Katya, sie hatte schon oft halb dösend auf dem durchgesessenen Sofa gelegen, eine Tasse Gewürztee auf dem Bauch balanciert und dem Professor gelauscht, der über einem seiner Lieblingsthemen ins Dozieren gekommen war. Wie oft hatte sie hier mit Shenja eine Partie Schach gespielt, während Tiez an seinem Schreibtisch eins dieser kleinen mechanischen Spielzeuge zusammengesetzt hatte, in die er so vernarrt war. Shenja. Sie stieß unwillkürlich einen Seufzer aus. »Unsere Aktion ist aus dem Ruder gelaufen. Sie haben Jewgenij vollkommen um seinen Verstand gebracht«, sagte sie rau.
Der Professor, der eine kugelige Teekanne von einem kleinen Stövchen genommen und in zwei Tassen eingeschenkt hatte, sah jäh auf. »Sind Sie sicher?« Da war nichts Verschwommenes mehr in seinem Blick, keine Sanftmut, keine Zerstreutheit. Kalt und klar wie eine Vollmondnacht im Januar. Katya fröstelte.
»Ich habe ihn gesehen.«
Tiez stellte die Teekanne zurück und wischte sich die Hände an seinem Gehrock ab. »Wie dumm, wie dumm«, sagte er nachdenklich.
Katya stieß einen erbitterten Laut aus. »Sie sind ein Monstrum, Horatius.«
Der Professor nickte bedauernd. »Ich weiß, meine Liebe. Nehmen Sie etwas Gebäck. Diese haben eine Füllung aus Vanillecreme, sehr lecker.«
Katya schnaubte und pickte die Empfehlung von dem ihr angebotenen Teller herunter. Es stimmte, das Gebäck war ausgezeichnet.
»Wir werden über Ihren Freund reden. Ich muss sehen, was ich tun kann«, sagte Tiez. »Er ist noch immer im Brünnlfeld, nehme ich an?«
Katya bestätigte seine Vermutung. »Unser Verbindungsmann ist verschwunden. Er sollte mir laufend Bericht erstatten, aber ich muss befürchten, dass mir gefälschte Berichte zugespielt wurden. Man muss entdeckt haben, dass Jewgenij von uns eingeschleust wurde.«
Tiez bürstete einige Krümel von seiner Weste. »Sehr bedauerlich. Dann kommen wir an dieser Stelle fürs Erste nicht weiter, fürchte ich.«
»Möglicherweise doch«, erwiderte Katya grimmig. »Ich sprach doch von dem alten Freund, der uns heute Nachmittag die Ehre seines Besuches erweisen wird.«
Der Professor sah sie abwartend an. »Hier?«
Katya wusste, dass die folgende Eröffnung auf Unglauben stoßen würde – sie selbst zweifelte ja immer noch an dem, was ihre Augen ihr gezeigt hatten. »Josip Grünwald.«
Die Lippen des alten Mannes bewegten sich bei der stummen Wiederholung des Namens. Er sah sehr nachdenklich aus. »Also ist er nicht tot.«
»Offensichtlich nicht.« Katya schilderte in Kürze, wo und unter welchen Umständen sie ihm begegnet war. Tiez lauschte ohne zu blinzeln und fast sah es so aus, als hätte er auch aufgehört zu atmen.
»Wärter im Brünnlfeld«, rief er dann mit einem Ausdruck, in dem sich Erstaunen mit jäher Erkenntnis mischte. »Natürlich«, sagte er mehr zu sich selbst als zu ihr, »aber natürlich! Alles andere hätte wohl auch keinen Sinn ergeben!«
»Sie haben an seinen Tod nicht geglaubt«, folgerte Katya.
Der Professor wiegte den Kopf bedächtig von einer Seite auf die andere. »Er hätte seinen Orden nicht verlassen ohne Vorkehrungen zu treffen, wenn er geglaubt hätte, seinem Tod zu begegnen«, erwiderte er.
»Er hat sein Vermächtnis hinterlassen«, wandte Katalin ein. »Der Superior hat es dem Hohen Rat verlesen.«
Tiez hob die Hände und ließ sie wieder sinken. »Falls dieser Mann ein Betrüger ist, werden wir ihn mit Wachsamkeit empfangen und hören, was er von uns will. Möglicherweise kann er uns ja über den Verbleib des Paters Guardianus aufklären.«
Tiez schenkte in aller Gemütsruhe Tee nach und Katya entzündete eine Zigarette, wobei sie unmutig feststellte, dass ihre Finger zitterten. Was war es, das ihre Hände unruhig werden ließ – Nervosität, Sorge, die Erregung der Erwartung, Unsicherheit? Josip Grünwald war das Herz, die Seele und der Schlussstein des Zeitlosen
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