Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Aethermagie

Titel: Aethermagie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
Vom Netzwerk:
Glas. Davon würde sie nicht betrunken werden, aber vielleicht vertrieb es die Bilder aus ihrem Kopf. Jewgenij. Die Ärzte hatten ihn in einen schwachsinnigen, hilflosen, fügsamen Idioten verwandelt, und sie hatte es zugelassen.
    »Sie haben mir einen fremden Körper gegeben. Ich bin aufgewacht und er war da, grob, riesig, ungeschlacht. Wie haben sie das gemacht? Ich will das nicht. Jeder Schritt ist eine Qual. Ich kann das nicht waschen, nicht berühren, nicht ansehen – es gehört mir nicht.
    Grünwald versucht, mich zu beruhigen. Er sagt mir, dass alles in Ordnung ist, dass ich mich nicht aufregen darf, sonst kommen sie und machen schlimme Dinge mit mir. Ich will die Brille nicht. Er hat recht.
    Aber das bin nicht ich …«
    Sie blätterte. Las.
    »Hader war wieder böse. Wenn Grünwald nicht in der Nähe ist, quält er mich. Er hat mich beschimpft und geschlagen. Ich war so zornig. Ich wollte seinen Hals brechen, sein Gesicht zu Brei schlagen, ihm die Arme ausreißen und sein Blut aus ihm herausquetschen, seine Reste über den Boden verschmieren und darauf herumtrampeln. Ich wollte es tun, aber sie haben mir die Jacke angezogen und dann ist Grünwald gekommen und hat mich weggebracht. Er war sehr streng und ich habe geweint. Ich will nicht die Brille. Grünwald hat mich getröstet. Er hat mich in die Zelle mit den weichen Wänden gesperrt und gesagt, wenn ich wieder lieb bin, darf ich etwas essen. Ich bin so hungrig, aber er lässt mich nicht immer essen, wenn ich hungrig bin. Er sagt, es wäre nicht gut für mich, weil ich dann weiter wachse. Manchmal bin ich böse auf Grünwald, aber ich möchte seinen Hals nicht brechen. Nicht so böse, nur ein wenig.«
    Katya schenkte ihr Glas voll und trank einen großen Schluck. Blätterte.
    »… hat mich nach draußen gebracht in den den den ich weiß das wort nicht es war kalt + wasser von oben + hat gut gerochen + da standen diese großen dinger diese großen schön ich habe auf dem boden gekniet habe meine hände in das weiche getan das weiche erde
    Zwischen meinen fingern es war schön + roch gut mein gesicht war nass nass von oben nass von selbst grünwald war auch da nass weil ich tränen das wort ist tränen dann ist der böse gekommen und hat geschimpft er durfte mich nicht nach draußen bringen aber grünwald hat gesagt er durfte es doch und dann ist
GOTT
gekommen und hat es erlaubt. es war schön ich habe davon geträumt.«
    Katya zündete eine Zigarette an und betrachtete abwesend ihre Finger. Sie zitterten nicht, obwohl ihr Inneres in Aufruhr war. Ruhig. Sie musste die Ruhe bewahren und einen kühlen Kopf. Jewgenij durfte dort nicht bleiben. Sie musste Grünwald kontaktieren, und zwar dringend.
    Auf der letzten Seite des Buches hatte sie einen zusammengefalteten Zettel entdeckt. Sie nahm ihn vom Tisch und las ihn zum dritten oder vierten Mal durch.
    »K.N.«
, begann er,
»ich denke, wir sollten miteinander reden. Der gewohnte Treffpunkt, Mittwoch um vier. P.J.G.«
    Nicht mehr. Wir sollten miteinander reden. Der gewohnte Treffpunkt.
    Katalin Nagy, Major der Vierten Abteilung der eigenen Kanzlei seiner Kaiserlichen Majestät, fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit so hilf- und ratlos wie ein ausgesetzter Säugling.
    Sie schlief den kurzen Rest dieser Nacht in ihrem Büro und erwachte im Morgengrauen, weil sich auf dem Gang zwei Männer heftig stritten. Gähnend und mit gespreizten Fingern ihr zerzaustes Haar kämmend, trat sie hinaus und fragte nach der Ursache der unziemlich lauten Auseinandersetzung. Der junge Wolffers und ein etwas älterer Kommissär, der zu Major Helmfrieds Abteilung gehörte, standen plötzlich stumm und erschrocken da und starrten sie in ihrem Räuberaufzug an, bis Wolffers sich als Erster fasste und zackig salutierte. »Major Nagy«, sagte er, »ich bitte um Verzeihung. Wir wussten nicht, dass Sie im Hause sind.«
    Der andere salutierte ebenfalls, nuschelte eine Entschuldigung und machte sich aus dem Staub.
    »Wolffers, Sie kommen gerade recht«, sagte Katalin und übersah geflissentlich die verlegene Miene des jungen Polizisten. »Bringen Sie mir ein Frühstück und die Morgenzeitung. Den Kaffee etwas stärker als gewöhnlich, wenn ich bitten dürfte.«
    Wolffers schlug zackig die Hacken zusammen und machte sich aus dem Staub. Katalin kehrte in ihr Büro zurück, erledigte mit dem kalten Wasser aus dem Steinkrug eine hastige Katzenwäsche, kämmte ihr Haar und zog ihr graues Kostüm an. Sie war gerade dabei, den letzten Knopf

Weitere Kostenlose Bücher