Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
entsetzt die Augen auf. Dann sah er seinen Bruder an: „Warum? Du hast sie dorthin gehen lassen?”
„Sie wollte es so … es schien eine gute Idee.” Friedrich konnte seinem Bruder nicht in die Augen sehen. Paul sah sich um. Alle wendeten ihren Blick ab.
„Valentin muss aufgehalten werden”, versuchte Friedrich zu erklären. Er rechnete nicht damit, und deshalb traf der Faustschlag seines Bruders ihn am ungeschützten Kinn. Er taumelte zur Seite und spürte Blut in seinem Mund. Das hatte er verdient, und er wusste es.
„Du hättest sie nicht gehen lassen dürfen!”, schrie Paul. Friedrich hatte seinen Bruder noch nie so wütend gesehen. Für einen Moment sah es so aus, als überlegte Paul, ihn noch einmal zu schlagen, aber dann drehte er sich wortlos um und rannte in Richtung der Metallmonster. Der mechanische Mann folgte ihm.
Aus dem Boden erhoben sich schwarze Krähen und folgten den beiden als kreischender Schwarm. Friedrich sah sich kurz nach Alexandra um: Sie stand mit vor dem Mund verknoteten Händen da und beobachtete das Geschehen ungläubig. Er bewegte sich einen Schritt auf sie zu, aber sie schüttelte den Kopf und zeigte auf den fast schon verschwundenen Paul.
Friedrich folgte seinem Bruder. Neben ihm lief der Mannwolf.
* * *
Rudolf Bader stand auf und Annabelle wäre vor seinem Zorn zurückgewichen, wenn das Metallgeländer sie nicht beschränkt hätte. Mit erhobenen Händen ging der Vater auf seinen Sohn zu und legte sie ihm dann um den Hals. Valentin versuchte die Hände abzuwehren, aber Rudolf Bader drückte erbarmungslos zu.
Zu Annabelles Entsetzen geschah aber nichts. Valentin röchelte nicht, er hörte zwar auf zu atmen, aber er starb nicht. Da wurde ihr endgültig klar, dass er schon tot war. Deshalb war er so kalt. Nur noch die Maschinchen in seinen Adern hielten ihn am Leben. Und er hatte auch seinen Vater getötet, als er dachte, er würde ihn heilen. Sie waren beide nicht viel mehr als die Automaten, die Valentin gebaut hatte, schreckliche Imitationen des Lebens, die sich nun in einem grotesken Kampf versuchten zu töten.
Aber da gab es noch einen Unterschied zu den Automaten: Vater und Sohn erinnerten sich an ihr Leben, sie hatten noch die gleiche Persönlichkeit, und sie würden beide die Welt immer weiter schlechter machen, solange sie existierten. Annabelle sah sich um und drehte an den Gewinden des Schaltkastens, drückte Knöpfe und legte Hebel um. Sie bemerkte, dass die mechanische Sängerin sie beobachtete, aber sie kümmerte sich nicht darum. Endlich strömte Æther aus einer Öffnung und Annabelle hielt ihre Hände hinein. Sie drehte ihre Handgelenke, um so viel wie möglich von den zähen Wirbeln zu erhaschen. Das war stark konzentrierter Æther, unter Druck zu einem fast greifbar hochviskosen gelbgrünen Stoff gepresst. Sie spürte ihre Hände eiskalt werden, aber sie schienen auch gleichzeitig zu verbrennen. Beißend arbeitete sich das Gift in ihre Hände, drang durch die Poren in die Blutbahn. Annabelle formte einen Ball und setzte ihn an ihre Lippen: entschlossen sog sie eine große Menge in ihre Lunge, drehte sich zu der Puppe und atmete aus.
Aus ihrem Mund strömte eine Ætherschlange, die sich aufbäumte und die Sängerin angriff. Die Schlange wickelte sich um den Oberkörper der Metallfrau und machte sie bewegungsunfähig. Annabelle machte einen Schritt nach vorne, formte Æther zu einer Kugel und schob diese mit einer ruckartigen Armbewegung auf den Automaten. Die Puppe schwankte und wurde zurückgedrängt. Schnell schob Annabelle weitere Bälle hinterher, sie explodierten blitzend und schubsten die Sängerin immer weiter auf den Rand der kleinen Plattform zu. Sie wehrte sich und versuchte sich aus dem britzelnden Gespinst zu befreien, aber es schien, als ob es sich eher fester um sie schlang und sie zuckte unkontrolliert.
Mit einer energischen Handbewegung schob Annabelle einen letzten großen Ball auf den Automaten, der verlor das Gleichgewicht und fiel über die Brüstung. Annabelle verschwendete keinen Gedanken mehr an sie, sondern wandte sich nach einem kurzen Blick auf die immer noch kämpfenden Männer wieder dem Æther zu. Ihr Innerstes brannte, ihr Hals war rau und sie spürte die Angst wie einen kleinen Vogel in ihrem Bauch hilflos flattern, aber der Æther wütete in ihr wie ein Drachen, grub sich tief in sie hinein, versengte sie, und hinterließ nur Zorn, heiß glühend und alles verzehrend.
Sie trank ihn gierig, bis sie nicht mehr konnte,
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