Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
sie wie Kinder und tanzen einem auf der Nase herum. Wie Kinder wollen sie versorgt sein, aber ich bezahle sie gut.”
Annabelle dachte über die Arbeiteraufstände nach, von denen sie in der Zeitung gelesen hatte.
„Sie wollen bessere Schutzmaßnahmen”, sagte sie vorsichtig. Bader schnaubte abfällig.
„Wozu?”, fragte er kopfschüttelnd. „Du hast es doch sicher gesehen, Kind: In der Fabrik ist weniger Æther, als außerhalb. Ich soll ihnen Schutzanzüge geben, aber in ihren Siedlungen laufen sie und ihre Frauen und Kinder ohne herum? Nein, nein, der Æther erwischt sie so oder so. Gott allein entscheidet, wie er die Menschen verändert.” Bader bekreuzigte sich.
Annabelle musste zugeben, dass er ein wenig Recht hatte. Die Arbeiter hatten ja keine andere Möglichkeit, als nahe bei der Fabrik zu wohnen, und lebten so automatisch im fast ewigen Ætherdunst. Aber sie glaubte immer noch nicht, dass Gott etwas damit zu tun hatte.
„Jetzt sind wir schon wieder bei unschönen Themen”, sagte Bader und trank einen Schluck Wasser. „Du bist bestimmt nicht gekommen, um mit mir über die Arbeiter zu sprechen.”
Annabelle nickte: „Ja, das stimmt. Ich würde gerne über meinen Vater sprechen.”
„Dein Vater hätte sich jetzt mit mir vortrefflich gestritten”, sagte Bader erheitert. „Er beschwor mich, mehr für die Arbeiter zu tun. Als ich vorschlug, ihnen eine Kirche zu bauen, da wäre er fast abgereist.” Er versuchte zu lachen, aber es gelang ihm nicht, und er bekam einen Hustenanfall.
„Religion war für Papa ein rotes Tuch”, sagte Annabelle.
„Ich habe es dennoch getan”, sagte Bader, und Annabelle sah ihn fragend an. „Eine Kirche gebaut, meine ich. Nur für die Arbeiter. Sie ist in der Nähe des Werks, sodass es keine Entschuldigung gibt, nicht am Gottesdienst teilzunehmen. So kann jeder am Abendmahl teilnehmen und beichten. Es ist die einzige Hoffnung auf Erlösung und Wunder”, sagte Bader plötzlich ernst und sah auf ihre Hand.
Annabelle sah das anders, aber er tat ihr leid. Sie spürte seinen Wunsch nach Heilung, nach Erleichterung, nach irgendetwas, was ihm Kontrolle und Stärke zurückbrachte. Sie fühlte eine Verantwortung auf ihr lasten, die Gabe, die sie besaß, zu nutzen, und zwar zum Guten, nicht zum Schlechten. Ihre Hand fühlte sich nackt an. Was sollte sie tun?
Es war doch eigentlich nichts dabei? Sie hatte doch schon geheilt. Sie konnte sich aber noch besser an das Gefühl der Macht und Zerstörungswut erinnern, als sie Walter Hartmann hatte töten wollen. Würde sie jemals kontrollieren können, was die Hand tun sollte? Sie spürte jedenfalls jetzt nicht die brennende Energie des Æthers, die sie damals zum Töten verführt hatte. Hier in diesem Raum gab es keinen schlechten Æther, vielleicht konnte sie die Kontrolle dann überhaupt nicht verlieren? Kontrolle … Plötzlich kam ihr eine Idee: Sie legte den Otter wieder an. Sofort spürte sie eine Verbindung. Die blauen Azuritkristalle beruhigten sie und der Otter schien sich an ihre Hand zu schmiegen. Sie spürte die Energie, die sie zum Heilen nutzte, blau, weich, sanft, lebendig. Sie konnte es wagen! Sie sah Rudolf Bader an, der immer noch schwer atmend auf ihre Hand starrte. Kurz entschlossen legte sie vorsichtig ihre Hand auf die seine und schloss die Augen.
Die schwüle Hitze wurde von einer trockenen Kühle ersetzt, ein wirbelndes Grau umhüllte sie knisternd und schabend. Sie duckte sich, es schien, als ob die Decke auf sie herabfallen wollte. Mauern rieben knirschend aneinander, bewegten sich unsichtbar, aber bedrohlich. Sie sah sich nach einem sicheren Ort um, und rannte los, immer in der Angst, dass die Wände einstürzten und sie darunter begruben. In einem großen Raum blieb sie keuchend stehen. Ursprünglich war es einmal eine prächtige Kirche gewesen, bevölkert von vielen Gebeten und Wünschen, aber nun gab es nur noch Reste, hier ein paar zerbrochene Kacheln, dort ein kaputter Altar, auf dem ein zerrissenes Tuch lag. Es roch nach dem trockenen Staub, der überall lag, erdig und eindringlich. Kleinste Partikel schwebten durch die Luft, wirbelten in die Ecken und bedeckten ihre Haut in einer dünnen Schicht, die sie sich selbst entfremdete.
In der Mitte der Trümmer erhob sich milchweiß eine Statue. Es war eine Frau, die so makellos und wunderschön war, gleichzeitig so einladend und gütig, dass man ihre ausgestreckte Hand ergreifen wollte, um mit ihr zu gehen, um sie zu begleiten und von ihr
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