Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
eigentlich plötzlich so beängstigend geworden? Zunächst schien sie doch alles richtig zu machen, wenn man das Reparieren des Hauses wie eine Heilung betrachtete. Es erschien ihr, als habe sich etwas in Rudolf Bader dann aber gegen sie gewendet, hätte sie angegriffen. Jedenfalls waren die grauen Männer furchterregend gewesen und die Statue hatte sich auch verändert. Bei dem Gedanken an die grünen Augen wurde ihr wieder schwindelig.
Sie war erschöpft und hatte Angst. Sie wollte nie wieder aus diesem Zimmer gehen, bis jemand kam, um sie abzuholen. Sie wollte aber auch nicht allein sein. Also doch Johanna? Sie musste mit ihr sprechen, jetzt, sofort. Annabelle stand auf und öffnete leise die Tür. Erst als sie in den verlassenen Flur sah, fiel ihr auf, dass sie keine Ahnung hatte, wie viel Uhr es war, aber sie war fest entschlossen, es zu versuchen. Sie musste etwas tun.
Sie huschte den Flur entlang, als plötzlich das Licht ausging. Verflixt! Sie hatte sich an das elektrische Licht in diesem Haus gewöhnt und vergessen, sich eine Lampe mitzunehmen. Es war stockdunkel, und sie meinte, Schritte zu hören. Ängstlich tastete sie sich an den Wänden entlang, öffnete eine Tür und schloss sie schnell wieder hinter sich. Ihr Herz klopfte und sie wartete, bis ihr Atem nicht mehr so laut war. Es war auch hier drin dunkel, und sie ahnte, dass sie nicht in Johannas Zimmer war, es roch anders. Annabelle tastete nach einem Lichtschalter und blinzelte, als es grell aufflammte. Neugierig sah sie sich um. Mit weißen Tüchern verhangene Konstruktionen standen verteilt im Raum, merkwürdig geformt und höher als sie. Was war da drunter? Vorsichtig hob sie das nächstbeste Tuch an. Darunter war eine Staffelei mit einer leeren Leinwand, und auf einem Tisch weiter hinten im Raum fand sie auch Farben und Pinsel. Die Utensilien waren schon lange eingetrocknet und unbrauchbar. Sie zog ein anderes Tuch weg und enthüllte eine Landschaft. Die Malerei unterschied sich sehr von den Bildern, die sonst im Haus hingen. Es war meisterhaft gemalt, mit leuchtenden und fröhlichen Farben. Annabelle glaubte, den Garten der Baders zu erkennen, so, wie er früher einmal gewesen sein mochte. Der Pavillon, der abgebildet war, kam ihr auf jeden Fall sehr bekannt vor. Aber schon zu der Zeit, als sie mit Valentin dort Verstecken gespielt hatte, war das Gelände nicht mehr so gewesen, wie auf dem Bild. Rudolf Bader hatte zwar Gärtner gehabt, aber die liebevoll angelegten Blumenrabatten und Vogelbäder, die man auf dem Gemälde sah, waren nicht erneuert worden, nachdem sie verblüht oder zerbrochen waren.
Und heute war der Park eine Mischung aus Wildnis und Friedhof, jedenfalls das, was Annabelle davon kurz gesehen hatte. Sie deckte das Gemälde wieder zu, war nun aber erst recht neugierig: Wer hatte die Bilder gemalt? Es konnte doch nur Baders Frau gewesen sein? Sie suchte sich eine andere Staffelei und enthüllte sie. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück und ließ das Tuch fallen. Abgebildet war die Statue, der sie in Rudolf Baders Innenwelt begegnet war. Sie stand auch in einem Garten, über einem steinernen Becken, welches von einem Auslass gespeist wurde. In ihren Händen hielt die Frau ein Füllhorn, aus dem Petunien wuchsen, die sich in einem Rausch an lilaweißen Blüten nach unten ergossen.
Neben dem Becken stand eine Bank, auf der ein Paar saß. Mann und Frau, die Gesichter einander zugewandt. Annabelle konnte es nur erahnen, aber sie war sich sicher, dass das Rudolf Bader und seine Frau waren. Die Geste, mit der beide sich berührten, war zart, und doch spürte man die Bande um das Paar so deutlich, dass es schon beim Hinsehen schmerzte. Was wehtat, war das Wissen, dass solche Augenblicke flüchtig sind, die Erinnerung an sie zwar oft sehr lange lebendig, aber mit jedem Detail, welches man vergisst, nimmt das Bedauern zu, dass man das nie wieder erleben kann. Das Bild war ein eingefrorener Moment der Liebe, und obwohl es unvollendet war, und die Farben durch mangelnde Nachbearbeitung brüchig geworden waren, konnte Annabelle jetzt erahnen, was Rudolf Bader verloren hatte.
Sie hatte keine Lust mehr, die anderen Bilder anzusehen. Sie wollte sich nur noch in ihr Bett kuscheln und auf den Moment warten, wenn sie endlich nach Hause fahren konnte. Sie fand eine Kerze und Streichhölzer, machte das Licht aus und huschte mit ihrem Nachtlicht den dunklen Korridor entlang, bis sie wieder in ihrem Zimmer war. Müde und hungrig – es hatte
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