Affaere in Washington
Welt kommen, dann reichte der Platz fast nicht mehr aus.
Er betrachtete das Konterfei seiner eleganten Schwester. Rena war blond, ihre fröhlichen Augen standen in reizvollem Gegensatz zu ihrem eigensinnigen Mund. Es war schon seltsam, wie verschieden Haar sein kann, überlegte er. Renas wohlgeordnete Frisur hatte so überhaupt nichts mit Shelbys undisziplinierten feuerroten Locken gemein.
Undiszipliniert … Das Wort passte gut zu Shelby. Erstaunlicherweise störte es Alan nicht im Mindesten. Mit ihr umzugehen würde lebenslange Herausforderung bedeuten, sie zu besitzen ein Leben voller Überraschungen. Er konnte es selbst nicht begreifen, dass für ihn, dessen Dasein stets ausgewogen und geordnet war, auf einmal nichts mehr vollkommen erschien, ohne dass hin und wieder dieser regelmäßige Ablauf unterbrochen wurde.
Alan schaute sich um. Die Bücher standen peinlich genau sortiert in großen Regalen entlang der drei Innenwände des Raumes. Jedes Möbelstück hatte seinen festen Platz, keines der Gemälde hing auch nur einen Millimeter aus dem Lot. Das Gleiche galt für seinen Tagesrhythmus – jedenfalls bisher. Und jetzt verlangte es ihn plötzlich nach einem Wirbelwind! Wollte er Shelby unterwerfen oder sich ihr anpassen?
Die Türglocke ertönte. Myra war wie immer auf die Minute pünktlich.
»Guten Morgen, McGee.« Myra schwebte herein mit einem freundlichen Lächeln für den kräftigen schottischen Butler.
»Guten Morgen, Mrs. Ditmeyer.« McGee war ein Hüne an Gestalt, solide wie eine Steinmauer und näherte sich der Siebzig. Seit drei Jahrzehnten war er bereits in Alans Familie als Butler tätig gewesen, bevor er Hyannis Port auf eigenen Wunsch verließ, um Alan nach Georgetown zu begleiten. Als Grund hatte er angegeben, Mr. Alan würde ihn dort brauchen. Dagegen konnte niemand etwas einwenden, und so musste man ihm seinen Willen lassen.
»Sie haben nicht zufälligerweise Ihre Spezial-Pasteten gebacken?«, fragte Myra hoffnungsvoll.
»Mit geschlagener Sahne, Madam.« Der Anflug eines Lächelns huschte über McGees unbewegliche Miene.
»Wundervoll, McGee, Sie sind ein Schatz! Hallo, Alan.« Sie streckte ihre Hände dem Hausherrn entgegen, der aus seinem Zimmer in die Halle trat. »Wie reizend von Ihnen, mich an einem Sonntag zu empfangen.«
»Es ist mir immer eine Freude, Myra.« Alan küsste sie auf die Wange und führte sie in den Salon.
Aufatmend ließ Myra Ditmeyer sich in einen Chippendale-Sessel mit gerader Lehne fallen und schlüpfte unbemerkt aus ihren engen Pumps mit den hohen spitzen Absätzen. »Welch eine Wohltat«, murmelte sie erleichtert und bewegte genussvoll die gequälten Zehen. »Ich habe einen überaus netten Brief von Rena erhalten«, sagte sie. »Sie fragt, wann Herbert und ich nach Atlantic City kommen können, um in ihrem Casino etwas Geld zu verlieren.«
»Mir ist es letztens ähnlich ergangen«, erwiderte Alan lachend. Er wusste natürlich genau, dass Renas Brief nicht der Grund war, weshalb Myra ihn besuchte.
»Wie geht es Ihrem Bruder Caine?«, erkundigte sich Myra. »Wer hätte vermutet, dass aus diesem Schlingel ein so brillanter Anwalt werden würde?«
»Das Leben ist voller Überraschungen.«
»Wie wahr, wie wahr – oh, hier kommt der köstliche Angriff auf meine schlanke Linie.« McGee war mit einem angerichteten Teetablett eingetreten. »Ich schenke selbst ein, tausend Dank, McGee.«
Myra hantierte geschickt mit dem Meißner Porzellan, und Alan beobachtete sie amüsiert. Was auch immer auf ihrer Seele lasten mochte, Tee und Gebäck würde Myra in jedem Fall erst in Ruhe genießen.
»Dass ich Sie um Ihren Butler glühend beneide, dürfte Ihnen bekannt sein.« Myra reichte Alan eine Tasse. »Wussten Sie, dass ich McGee vor zwanzig Jahren Ihren Eltern stehlen wollte?«
Alan lachte hell auf. »Nein, natürlich nicht. McGee ist viel zu diskret, um über einen solch frevelhaften Versuch zu sprechen.«
»Und außerdem viel zu treu ergeben, um auf meine raffinierten Bestechungsversuche hereinzufallen. Damals habe ich seine Pasteten zum ersten Mal probiert.« Myra biss in einen der kleinen Kuchen und schloss genießerisch die Augen. »Natürlich hatte ich zuerst geglaubt, dass die Köchin sie gebacken habe, und wollte Ihrer Mutter diese abwerben, doch dann erfuhr ich den wahren Hergang und versuchte es bei McGee. Wenn es mir gelungen wäre, würde ich wahrscheinlich heute wie ein Elefant daherkommen.« Sie betupfte ihre Mundwinkel mit einer Damastserviette. »Dabei
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