Affaere in Washington
Hast du sie schon gelesen?«, fragte sie mit undurchsichtiger Miene.
»Natürlich.« Shelby zog einen Fuß unter sich. »Um nichts in der Welt möchte ich Grants Exposé vermissen.«
»Das meinte ich diesmal nicht.«
Gleichgültig blickte Shelby auf. »Ich habe nur die erste Seite und ein paar Schlagzeilen überflogen, zu mehr bin ich noch nicht gekommen. Sollte ich etwas von Bedeutung übersehen haben?«
»Offensichtlich.« Ohne ein weiteres Wort stand Mrs. Campbell auf und ging zum Sofa. Sie suchte zwischen den verstreuten Blättern, bis sie einen bestimmten Teil fand. Lächelnd reichte sie ihrer Tochter die gewisse Seite. Shelby schaute auf das gelungene Foto und schwieg.
Es handelte sich um einen ziemlich scharfen Schnappschuss von der Schwanenbrücke. Alans Hände lagen auf Shelbys Armen, und sie hielt sich am Geländer fest. Ihr Oberkörper und Kopf lehnten an Alans Brust, der dicht hinter ihr stand. Shelby erinnerte sich genau an diesen Augenblick. Dem Fotografen war es vortrefflich gelungen, ihren Ausdruck von Ruhe und Zufriedenheit festzuhalten.
Der dazugehörige Text war kurz. Shelbys Name und Alter wurden angegeben, mit Hinweis auf ihren verstorbenen Vater und einer kurzen Würdigung ihrer selbst als Töpferin. Bei Senator MacGregor wurde sein Eintreten für die Heimatlosen hervorgehoben. Der ganze Absatz endete mit ein paar spekulativen Bemerkungen bezüglich ihrer beider Beziehung. Es war nichts Bösartiges an dieser kleinen, für Washington typischen Klatschreportage. Trotzdem reagierte Shelby beim Lesen ungewöhnlich. Sie war überrascht, gleichzeitig aber fühlte sie sich in ihrer Meinung bestätigt.
Ich hatte von Anfang an recht, dachte sie bitter, als ihr Blick zu dem Bild zurückwanderte. Politik im weitesten Sinne würde sich immer zwischen sie und Alan drängen. Nicht einen einzigen Nachmittag lang würden sie sich wie normale Menschen bewegen dürfen. Es würde nie anders werden.
Shelby schob die Zeitung heftig beiseite und griff nach ihrer Kaffeetasse. »Dank dieser vorzüglichen Reklame wäre es nicht weiter verwunderlich, wenn ich am Montag reichlich Publikumsverkehr im Laden hätte«, sagte sie. »Im letzten Jahr kam eine Frau von Baltimore bis her zu uns, nachdem sie mich zusammen mit Myras Neffen in einer Illustrierten gesehen hatte. Sie platzte beinahe vor Neugierde und kaufte mir einige schöne Vasen ab.« Sie nippte an ihrem Kaffee und war sich wohl bewusst, dass sie Unsinn redete. »Wie gut, dass ich kürzlich meinen Lagerbestand aufgestockt habe. Möchtest du vielleicht einen Keks zum Kaffee, Mom? Irgendwo müssten welche sein.«
»Shelby!« Deborah Campbell nahm beide Hände ihrer Tochter in ihre eigenen und zwang Shelby dadurch, auf ihrem Platz sitzen zu bleiben. Sie lächelte nicht mehr, sondern blickte besorgt drein. »Seit wann hast du etwas gegen öffentliches Interesse einzuwenden? Grant ist in dieser Beziehung krankhaft empfindlich, dich hat es doch immer nur amüsiert.«
»Es stört mich überhaupt nicht«, protestierte Shelby mit schlecht gespielter Gleichgültigkeit. »Für meinen Umsatz kann es nur vorteilhaft sein. Manche Leute mögen sogar hoffen, Alan hier anzutreffen. Es ist eine harmlose Sache.«
»Ja«, Mrs. Campbell nickte und streichelte Shelbys nervöse Hände, »das ist es.«
»Nein, im Gegenteil.« Shelby sprang auf. »Eine große Gemeinheit ist es!« Sie lief ziellos im Zimmer umher, wie Deborah es an ihr schon unzählige Male beobachtet hatte. »Ich kann es nicht einfach hinnehmen und will es auch gar nicht.« Heftig stieß sie mit dem Fuß gegen einen Hocker. »Warum ist Alan nicht Atomphysiker oder betreibt eine Kegelbahn? Weshalb schaut er mich an, als kenne er mich seit eh und je und als machten ihm meine Fehler überhaupt nichts aus? Er soll mich nicht belästigen. Ich ertrage es nicht!«
Die Zeitung mit dem Bild flog in die Ecke.
»Aber es ist ja egal.« Shelby fuhr sich mit den Händen durch das Haar und versuchte vergeblich, sich zu beruhigen. »Es ist ja egal«, wiederholte sie. »Ich hatte mich ja vorher schon entschieden.« Sie schüttelte den Kopf und hob die Kaffeekanne. »Möchtest du noch Kaffee, Mom?«
Temperamentvolle Ausbrüche ihrer Tochter waren für Deborah Campbell nichts Neues. »Einen Schluck, bitte. Was hast du denn entschieden, Shelby?«
»Ich werde mich nicht mit ihm einlassen.« Nachdem sie ihrer Mutter nachgeschenkt hatte, stellte Shelby die Kanne auf die Wärmeplatte zurück und setzte sich wieder an den Tisch.
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