Affaere in Washington
verstanden, als wären sie alte Freunde. Aber dennoch lagen Welten zwischen ihnen. Alan gehörte nicht in Shelbys Leben und sie nicht an die Seite eines Senators.
Ob ich ihn wohl für immer verscheucht habe? überlegte sie und war ehrlich genug sich einzugestehen, dass der Wutausbruch und die eisige Kälte in seinem Blick absolut berechtigt gewesen waren. Dass sie über diesen beherrschten Mann so viel Macht hatte, wunderte sie und – ja, es gefiel ihr auch gleichzeitig.
Die Bosheit war reiner Selbsterhaltungstrieb, entschuldigte Shelby vor sich selbst ihr Verhalten. Alan war drauf und dran, ihr Selbstwertgefühl zu zerstören. Seltsam war nur, dass er in ihr ein Gefühl hinterlassen hatte, das sie selbst als ruhelose Sehnsucht beschrieb.
Shelby fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, eine Stelle dort tat noch weh. Unglaublich, wie heftig er sein konnte! So ausgeglichen und vernünftig einerseits und auf einmal hart und rücksichtslos. Aber diese gefährliche Mischung erschien ihr äußerst reizvoll – und äußerst gefährlich, fügte sie in Gedanken hinzu.
Jedenfalls war es ihr gelungen, Alan fürs Erste abzuweisen. Auch wenn er sich nicht mehr sehen lassen würde – was sie von ganzem Herzen hoffte –, das war schließlich ihr Ziel gewesen. Shelby schob die Zeitung beiseite und stand auf, um im Zimmer herumzulaufen. Sollte sie sich bei Alan entschuldigen? Was für eine dumme Idee! Das würde die Dinge nur noch mehr komplizieren.
Sie könnte ihn natürlich darauf hinweisen, dass es sich nur um eine förmliche Entschuldigung handelte und nichts weiter beabsichtigt sei … Nein. Shelby schüttelte den Kopf. Das wäre unklug, schwach und glatter Selbstbetrug. Die Entscheidung war gefallen, und dabei musste es bleiben.
Sie lächelte traurig, als ihr Blick auf die Ballons fiel, die lässig über den Küchentisch rollten. Sie hatten in der Zwischenzeit ihren Aufwärtsdrang eingebüßt und erinnerten an müde Überbleibsel einer fröhlichen Fete. Shelby seufzte.
Ich hätte ihnen auf der Stelle die Luft herauslassen und sie in den Müll werfen sollen, aber das ist nun zu spät. Ihr Finger glitt zart über weiches, runzeliges Gummi.
Wenn ich anriefe, jede Konversation ablehnen und mich nur kurz entschuldigen würde, drei Minuten höchstens, wäre meinem Gewissen damit gedient? Shelby überlegte schon, wo die Eieruhr sein mochte, mit der sie die Zeit des geplanten Gesprächs kontrollieren könnte. Ungefährlich wäre das Unternehmen allerdings nicht. Hatte nicht ein ebenso harmloses Telefonat gestern das ganze Elend erst ausgelöst?
Shelby überlegte noch, als jemand an die Tür klopfte. Erwartungsvolle Freude huschte über Shelbys Gesicht, und im nächsten Moment hatte sie auch schon die Tür aufgerissen.
»Ich wollte dich gerade … Oh! Hallo, Mom.«
»Tut mir leid, dass ich nicht die erwartete Person bin.« Deborah küsste ihre Tochter auf die Wange und trat ein.
»Wahrscheinlich ist es besser so«, murmelte Shelby und schloss die Tür. »Ich mache frischen Kaffee. Es ist schließlich eine Seltenheit, dass du dich am Sonntagmorgen hier sehen lässt.«
»Ich bin mit einer halben Tasse zufrieden, wenn du noch jemanden erwartest.«
»Keine Sorge, die Gefahr besteht nicht.« Shelbys Ton war flach und entschieden.
Deborah Campbell sah die Tochter forschend an, doch dann schüttelte sie bekümmert den Kopf. Seit über zehn Jahren schon wusste sie nicht mehr, was im Inneren ihres Kindes vorging. »Wenn du für heute keine Pläne hast, könntest du mich begleiten. In der Nationalgalerie gibt es eine Ausstellung über flämische Kunst.«
Ein heftiges, nicht salonfähiges Wort entfuhr Shelby, und sie steckte ihren Daumenknöchel in den Mund.
»Hast du dich verbrannt, Liebes? Zeig mal her.«
»Nicht der Rede wert, lass nur, Mom.« Shelby hatte sich wieder in der Gewalt. »Es waren nur ein paar Tropfen heißer Kaffee. Setz dich doch.« Mit einer fast heftigen Bewegung fegte sie die Ballons vom Tisch auf den Küchenboden.
»Verändert hast du dich jedenfalls nicht. Deine Art aufzuräumen ist noch immer sehr genial.« Deborah lächelte nachsichtig. Dann wartete sie ab, bis Shelby sich ihr gegenüber hingesetzt hatte. »Stimmt etwas nicht?«, fragte sie teilnahmsvoll.
»Ob etwas nicht stimmt?« Shelby tat, als ob sie nicht verstünde. »Nicht, dass ich wüsste.«
»Du bist im Allgemeinen nicht so sprunghaft.« Deborah Campbell rührte ihren Kaffee um und sah Shelby dabei prüfend an. »Ah, die Sonntagszeitung!
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