AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
Gerücht zu. Der Papst soll nicht nur mit seiner Mätresse schlafen, sondern auch mit der eigenen Tochter Blutschande treiben. Urheber der schweren Anschuldigung ist Lucrezias zweiter Ehemann Giovanni Sforza. Ihm war die 13 Jahre alte Lucrezia „per procurationem“ – also per Stellvertretung – angetraut worden. Die Borgias wollten Macht und Einfluss durch eine familiäre Bindung mit der einflussreichen Mailänder Familie Sforza stärken. Doch Alexander will noch höher hinaus. Bereits nach vier Jahren wird Lucrezias Ehe wegen angeblicher Impotenz des Gemahls für ungültig erklärt. Diese Schmach beantwortet Giovanni Sforza mit dem verleumderischen Vorwurf der Blutschande. Den Borgias trauen Zeitgenossen ohnehin alles zu.
Giulia mag jung, aber nicht dumm sein. Sie nutzt die intime Nähe zum Papst, um ihrerseits das Wohlergehen der Farnese-Familie zu befördern. Mit der Geburt ihrer Tochter Laura kann sie den Einfluss im Vatikan noch stärken. Sie protegiert die Karriere ihres Bruders Alessandro so gut, dass er drei Jahrzehnte später als Papst Paul III. in die Fußstapfen ihres Liebhabers tritt. Mit kaum 25 Jahren wird Alessandro Kardinal. Der Günstling einer Mätresse wird vom römischen Volk als „Cardinal Gonella“ („Röckchen“) und als „Cardinal Fregnese“ (eine Übersetzung verbietet der Anstand) verhöhnt. Der Spott wird seiner späteren kirchenpolitischen Bedeutung nicht gerecht: Paul III. entwickelt sich zum mächtigen Papst der Gegenreformation.
Der so geförderte Bruder bedankt sich für die Schwesternliebe und lässt Giulia schon zu seinen Lebzeiten vom Bildhauer Guglielmo della Porta als Trauernde am Fuße seines künftigen Grabmals im Petersdom darstellen. Ursprünglich weint die marmorne Giulia nackt und so realistisch, dass viele Betende beim Anblick des Engels auf höchst unkeusche Gedanken kommen. Um 1600 wird der Marmorkörper mit einem Überwurf aus Blei bedeckt, und damit Anstand und Sitte fürs Kirchenvolk wieder hergestellt.
Während dem Volk in den Kirchen von Sünde, Fegefeuer, Tod und Verdammnis gepredigt wird, zelebriert der hohe Klerus hinter den Mauern des Vatikans die sieben Todsünden. „Der Herr will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er lebt und zahlt“, soll Papst Alexander VI. gesagt haben. So rechtfertigte der Hüter des Glaubens seine eigenen Verfehlungen und führte die Marktwirtschaft in allen Bereichen der päpstlichen Verwaltung ein. Schwerverbrecher wurden gegen Zahlung namhafter Summen begnadigt. Ämter gehen an den Meistbietenden. Die Einnahmen des Vatikans sprudeln. Für den luxuriösen Lebenswandel braucht Alexander VI. Geld, viel Geld. Der Ablasshandel wird als Geschäftszweig perfektioniert. Ein deutscher Mönch wird diese himmelschreienden Missstände in Wittenberg anprangern und „aus Liebe zur Wahrheit“ – wie es im ersten Satz heißt – 95 Thesen an die Kirchentür nageln und damit eine Kirchenspaltung auslösen.
Doch Wittenberg ist fern, Florenz hingegen nahe. Der Papst muss sich mit einem Mönch herumschlagen, der zum Kristallisationspunkt für Weltpolitik geworden ist. Der dominikanische Bußprediger Girolamo Savonarola kritisiert mit deftigen Worten die Verkommenheit der Kirchenfürsten und die Laster am Hof der Medici in Florenz. „Die Kirchenoberen sind zu Handlangern des Teufels geworden. Früher haben sie ihre Söhne als Neffen ausgegeben, jetzt schämen sie sich nicht mehr, sie offen als ihre Söhne zu bezeichnen.“
Seine Predigten zünden den Funken. Das Volk, von seinen Herrschern ausgeplündert und der Willkür ausgesetzt, vertreibt den Gewaltherrscher Lorenzo de Medici aus der Stadt am Arno.
In den Geschichtschroniken wird das Jahr 1492 aufgeschlagen, jenes Jahr, in dem Rodrigo Borgia sich die Papstwürde erkauft und der Genuese Christoforo Colombo im Dienst der spanischen Krone zufällig Amerika entdeckt. Der Historiker Siegfried Quandt beschreibt den Konflikt mit dem Dominikaner: „Der Papst nimmt Savonarola zunächst kaum wahr. Das ist ein Mönchlein, das predigt, davon gab es viele – und Kritiker der Kirche gab es auch viele. Alexander hatte ein großes Selbstwertgefühl und er war als Kirchenoberhaupt mächtig. Aber dann merkte er doch, dass die Resonanz dieses Savonarola gefährlich werden konnte.“
Der Mönch predigt weiter gegen den „Heiligen Vater“ in Rom. Er beschimpft den Borgia-Papst als Antichrist. Damit hat Savonarola den Bogen überspannt und die Macht des Faktischen unterschätzt. Seine Gegner
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