AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
Vetternwirtschaft. Mit ihm fallen alle Schamgrenzen.
Eine direkte Nachfolge eines weiteren Borgia auf den „Heiligen Stuhl“ verhindern vorerst die römischen Adelsgeschlechter, die glauben, quasi eine Erbpacht auf den wichtigsten politischen Posten der damaligen Welt zu haben. So hat Rodrigo als päpstlicher Vizekanzler Zeit, seine Macht auszubauen und drei illegitime Kinder zu zeugen, ehe er sich einer verheirateten Frau zuwendet. Vanozza dei Cattanei wird für etliche Jahre seine Geliebte und gebiert dem Kardinal drei Söhne und eine Tochter: Lucrezia Borgia und ihr Bruder Cesare werden in die Welt-, Literatur- und Filmgeschichte eingehen. Rodrigo ist noch nicht Papst, hat aber schon mindestens sieben Kinder gezeugt. Der Spanier in Rom zeigt stolz seine Manneskraft und wählt als Wappentier einen Stier. Gelegenheiten lässt er selten aus. Der jetzt 57-jährige Kardinal ist Vormund eines jungen Adels-Sprösslings aus der mächtigen Familie Orsini, einem Cousin dritten Grades. Dessen Hochzeit mit einem 14-jährigen Mädchen findet im Palast des Kirchenfürsten statt. Die künftigen Eheleute Orso Orsini und Giulia Farnese sind einander seit ihrer Geburt versprochen. Die Familien haben es so vereinbart. Die Kinder werden nicht weiter gefragt.
Giulia Farnese wird von Zeitgenossen als blonde Schönheit beschrieben, dem alternden Kardinal sticht das blutjunge Mädchen sofort ins Auge. Die Eheschließung kann und will er nicht verhindern, als geweihtem Kirchenmann bleibt ihm das Sakrament der Ehe ohnehin vorenthalten, aber den Vollzug der Ehe seines entfernten Cousins mit der Bildhübschen behält er sich vor. Am Tag ihrer arrangierten Hochzeit wird Giulia die Geliebte des Kardinals. Sie ist die Schöne und er ist das Biest. Porträts zeigen den späteren Papst Alexander als hakennasigen, unsympathisch blickenden älteren Mann mit beträchtlicher Leibesfülle. Ihm wird die 14-jährige „Braut Christi“ zugeführt. So spottet Rom über die skandalöse Liaison. Doch niemand wagt es, gegen diesen Übergriff des mächtigen Kirchenmannes zu protestieren. Der Borgia quartiert seine vier Jahrzehnte jüngere Geliebte im Palast ein. Ihren unglücklichen Ehemann ernennt man zum Offizier und schickt ihn in die Provinz.
Im Alter von 61 Jahren wird der Kardinal nach dem Tod von Papst Innozenz VIII. am 10. August 1492 zum Nachfolger Petri gewählt und nimmt den Papstnamen Alexander VI. an. Der Borgia hat die Ersparnisse der vergangenen Jahrzehnte gut investiert und eine ausreichende Zahl von Kardinälen bestochen. Kardinal Ascanio Sforza soll durch vier Maulesel beladen mit Silber von den Qualitäten des Borgia überzeugt worden sein. Sein Kollege Orsino erhielt Borgias Palast in Rom und Kardinal Colonna die Abtei Subiaco. Als Simonie oder Ämterkauf werden Reformatoren von Savonarola bis (später) Martin Luther diese gängige Praxis geißeln.
Es beginnt die Zeit der Prachtentfaltung der Borgias. Den Renaissance-Päpsten verdankt Rom großartige Paläste, aber auch den schauerlichsten moralischen Verfall der Kirchengeschichte. In der „Chronik des Christentums“ erhält diese römische Episode einen vernichtenden Eintrag: „Mit Alexander erreicht dieses Renaissance-Papsttum seinen Höhepunkt – für die Kirche ist sein Pontifikat trauriger Tiefpunkt.“
Giulia Farnese übersiedelt an einem Septembertag anno 1492 (ein Gewittersturm soll über Rom getobt haben) mit der Borgia-Sippe in den neu erbauten Palast in unmittelbarer Nähe des Vatikans. Von dort führt eine geheime Türe direkt in die päpstlichen Gemächer. Die kostbaren Gemälde dort werden von Besuchern als politisches Programm Alexanders VI. gedeutet. Der Herr der Christenheit lässt sich als goldener Stier abbilden, auf allegorische Art an Göttervater Zeus erinnernd, der ja als Inkarnation eines Stiers Europa entführt hat. Seine illegitime Tochter Lucrezia wird als Heilige, sein Sohn Cesare als König dargestellt. Bilder der Geliebten Giulia sind nicht verbürgt. Allerdings wurde im Jahr 2007 die Kopie eines Freskos von Pinturicchio entdeckt, wie es von Giorgio Vasari beschrieben wurde: „Über der Türe eines Raumes in den Borgia-Appartements malte Pinturicchio Signora Giulia Farnese als Madonna und verewigte im selben Bild Papst Alexander, wie er sie verehrt.“
Die päpstliche Mätresse Giulia freundet sich mit Alexanders Tochter Lucrezia an. Bald flüstern sich die vatikanischen Sekretäre, die Kapläne und die geistlichen Kammerherren ein böses
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