Affinity Bridge
Ich bin sicher, dass sie alles Menschenmögliche tun.«
Amelia nickte und biss sich auf die Unterlippe, strich sich eine
Strähne aus dem Gesicht. »Nun, jetzt haben wir genug über mich geredet! Erzähl
mir doch von dir, Veronica. Was hast du in der letzten Zeit gemacht? Hier im
Krankenhaus ist es so eintönig und langweilig, ich möchte gern etwas aus der
richtigen Welt hören. Ich stelle mir immer vor, wie du da drauÃen mit deinen
wundervol-len Kleidern, hübsch und klug, deinen Aufgaben nachgehst.«
Veronica lächelte. »Ich glaube, du malst es dir in viel zu schönen
Farben aus, Amelia. Ich arbeite im Museum. Die letzte Woche habe ich damit
verbracht, Sir Mauriceâ Aufsätze zu übertragen und in wissenschaftlichen
Schriften den Druiden der Bronzezeit in Europa nachzuspüren. Das ist eine
schöne, aber sehr ruhige Arbeit. Da ist kein Platz für groÃe Abenteuer!«
Amelia nickte, es funkelte in ihren Augen. »Schwester, vergiss
nicht, dass ich mehr sehen kann, als du glaubst, sogar wenn ich hier drinnen
bin. Ich glaube, deine letzten Aufträge waren viel interessanter, als du es
jetzt zugeben willst.« Sie lächelte, lieà aber das Thema fallen. »Nun sag
schon, hast du mit deiner unverblümten Art inzwischen das ganze Museum
schockiert?«
Veronica lachte. »Es gab fraglos ein paar hochgezogene Augenbrauen.
Allerdings bemühe ich mich, die Leute nicht zu sehr gegen mich aufzubringen.
Ich würde den Arbeitsplatz gern noch eine Weile behalten.«
»Und wie sieht es mit Verehrern aus?« Die Pflegerin an der Tür
blickte kurz herüber und war offenbar sehr neugierig auf Veronicas Antwort.
»Wie ich hörte, ist Sir Maurice doch eine blendende Erscheinung in der Stadt.«
»Amelia, also wirklich!« Veronica errötete. »Sir Maurice und ich
haben rein beruflich miteinander zu tun. Ich muss zugeben, dass er ein gut
aussehender Mann ist, aber â¦Â«
»⦠aber du protestierst viel zu energisch«, unterbrach Amelia sie
kichernd. »Nun komm schon, Schwester, ich habe dich nur auf den Arm genommen.«
Sie kratzte sich am Ellenbogen, wo das Wollhemd offenbar die Haut gereizt
hatte.
Veronica wurde ernst und legte eine Hand auf Amelias kühle Wange.
»Hattest du diese Woche wieder eine Episode?«
Amelia zuckte mit den Achseln. »Mehrere sogar.« Sie wandte den Blick
ab und schwieg.
»Und â¦Â«
»Sie waren so unangenehm und unwillkommen wie immer.« Sie drehte
sich wieder zu Veronica herum. »Ich wünschte, ich könnte einen Weg finden,
damit es aufhört. Die Dinge, die ich sehe â¦Â« Sie lieà den Satz unvollendet, als
die verstörenden Erinnerungen erwachten.
Veronica nahm sie fest in die Arme und redete beruhigend auf sie
ein. »Schon gut, Amelia. Ich verspreche dir, dass wir alles tun, was wir können.«
Amelia sackte in sich zusammen.
»Amelia?« Sie hielt ihre jüngere Schwester an den Schultern fest.
»Amelia?«
Plötzlich begann Amelia heftig zu zucken, in Veronicas Armen
verkrampfte sich ihr ganzer Körper. Sie verdrehte die Augen, Schaum trat vor
ihren Mund, während sie unentwegt bebte.
»Amelia!« Hilfe suchend blickte sie die Aufpasserin an, die erst
jetzt erkannte, was geschah.
»Wir brauchen Hilfe!« Die Frau erhob sich und sprang Veronica bei.
Sie übernahm Amelia und lieà das heftig zuckende Mädchen auf den Boden gleiten.
»Wir müssen sie fixieren, damit sie sich nicht selbst verletzt.«
Veronica kniete nieder und hielt Amelias Beine fest. »Was nun?«,
fragte sie die Krankenschwester besorgt.
Die Aufseherin hatte Mühe, Amelias Arme festzuhalten. »Wir warten
auf den Doktor.«
Ganz im Bann ihres quälenden Anfalls plapperte Amelia irgendetwas
Unverständliches. Veronica versuchte, die verstümmelten Worte zu verstehen.
Inzwischen liefen ihr die Tränen über die Wangen. Es ging um irgendein Feuer,
um Schreie und um Omnibahnen. Davon abgesehen, war nicht zu verstehen, was
Amelia sagen wollte, während die nervösen Zuckungen durch sie fuhren und sie
sich ungestüm aufbäumte.
Endlich hörte Veronica Schritte. Sie schaute nicht auf. Gleich
darauf knieten zwei weitere Pflegerinnen neben Amelia nieder. Eine hielt ihren
Kopf fest, während die andere Veronica ablöste und Amelias Beine zu Boden
drückte. Dann hörte Veronica hinter sich eine vertraute
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