Affinity Bridge
Büro aufzusuchen. Bisher hatte sie von Newbury
noch nichts gehört, und nun wollte sie unbedingt herausfinden, ob es in dem
Fall neue Entwicklungen gab. Vielleicht hatte er bei seiner Audienz im Palast
Ihrer Majestät zusätzliche Informationen entlocken können. Veronica wollte
darauf dringen, dass er sich mit Sir Charles austauschte. Vielleicht hatte
Inspektor Foulkes am Absturzort noch etwas herausgefunden.
Seit ihrem Besuch in der Fabrik Anfang der Woche wurde Veronica den
Eindruck nicht los, der automatische Pilot könnte aus dem Wrack geklettert
sein und sich in den Wald abgesetzt haben, ehe jemand am Ort des Geschehens eingetroffen
war. Ganz abwegig war die Vorstellung nicht, denn der Automat, dessen
Vorführung sie gesehen hatte, besaà ein kräftiges Skelett. Sie konnte sich gut
vorstellen, dass die Einheit â verwirrt und beschädigt, aber im Grunde noch
funktionstüchtig â aus der zerstörten Pilotenkanzel gekrochen war, um die
empfindlichen Bauteile vor der Hitze der Flammen zu schützen. Vielleicht hatte
der Automat auch eine Weile inaktiv herumgelegen, bis die vorprogrammierten Systeme
erwacht waren und ihn in Bewegung gesetzt hatten, womöglich nicht einmal, um
dem Feuer zu entkommen, sondern einfach nur, weil er gezwungen gewesen war, den
Spannmechanismus in der Brust zu aktivieren, wie Villiers es ihnen während der
Vorführung in seiner Werkstatt beschrieben hatte. Diese Ãberlegungen wollte sie
ausführlich mit Newbury diskutieren, sobald sie im Büro eingetroffen war.
Veronica zog im Wohnzimmer die Vorhänge zurück und blickte zur
StraÃe hinaus. Die Sonne stieg gerade eben über die Wolken empor, doch schon
jetzt wimmelte die HauptstraÃe vor Menschen. Mechanische Gespanne rumpelten
über das Pflaster und stieÃen dicke Dampfwolken aus. Die Fahrer schrien die
FuÃgänger an, ihnen Platz zu machen. Sie schüttelte den Kopf, denn sie konnte
Newburys Besessenheit vom Fortschritt einfach nicht verstehen. Natürlich waren
die Automaten wundervolle Erfindungen, doch sie musste immer an all die
Menschen denken, die ihre Aufgaben verlieren würden, sobald die Apparate in
groÃem Umfang in der städtischen Industrie eingesetzt wurden. AuÃerdem war London
ein Ort, der sich immer noch bemühte, das gerade vergangene Jahrhundert
abzuschütteln. Ihrer Ansicht nach galt es, drängende gesellschaftliche
Unzulänglichkeiten zu beheben, bevor man an irgendeine Art von
wissenschaftlicher Revolution denken konnte. Obwohl Britannien von einer Frau
regiert wurde, gab es hier viel zu viel Ehrfurcht vor den Männern.
Veronica wandte sich vom Fenster ab, ging in die kleine Küche und
zündete den Herd an. Sie wollte Toast essen und Tee trinken und dann so schnell
wie möglich eine Droschke anhalten, nach Bloomsbury fahren und die neuesten
Informationen über den Fall hören. Dabei konnte sie vielleicht auch das Bild
ihrer Schwester vergessen, die mit weiÃen Augen im grellen Licht der Gaslampen
ihren Namen rief, während ein Aufgebot von Pflegerinnen sie am Boden festhielt
und die Ãrzte behaupteten, Amelia müsse nur deshalb so sehr leiden, weil sie
völlig verrückt sei.
Die Bürotür war versperrt, als Veronica im Museum eintraf.
Sie suchte in der Handtasche nach dem Schlüssel, den sie für die seltenen
Gelegenheiten besaÃ, wenn sie als Erste ankam. Eilig drehte sie den Schlüssel
im Schloss herum, trat ein und drückte hinter sich die Tür zu.
»Hallo?«
Es war niemand da. Als sie sich umsah, stellte sie sogar fest, dass
niemand mehr hier gewesen war, seit sie sich vor fast zwei Tagen mit Newbury
und Miss Coulthard selbst zum letzten Mal im Büro aufgehalten hatte. Newbury
hatte Miss Coulthard erlaubt, sich so lange frei zu nehmen, wie es für die
Suche nach dem vermissten Bruder notwendig war. Die Tatsache, dass die
Sekretärin nicht hier war, sprach nicht gerade dafür, dass die Suche von Erfolg
gekrönt gewesen war. Seufzend nahm Veronica die Tasche von der Schulter und
hängte sie auf den Ständer, dann folgten Mantel und Hut. Sie warf einen Blick
zur Uhr in der Ecke. Eine Weile würde sie ausharren und darauf hoffen, dass
Newbury sich doch noch blicken lieÃ. Wenn nicht, würde sie zu seiner Wohnung
nach Chelsea fahren und sehen, ob sie ihn dort antraf.
Sie brühte eine Tasse Tee auf und beschloss, sich einige Notizen zu
machen, um ein wenig Ordnung
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