Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
diesem Augenblick gegen ein Schwindelgefühl anzukämpfen hatte, drang das Wort „gewesen“ nicht in ihr Bewusstsein, sie hätte sich sonst gewundert. Sie vernahm nur die Worte „arg schlimm“ und nickte schwach.
„Ich ziehe dich gleich aus und wasche dich, bevor ich dich schlafen lege“, sagte Dragan und befürchtete unvermittelt, dass ihr der Gedanke kommen könne, sie sei ihm zu schmutzig, wie sie jetzt war, unangenehm und zuwider, und da griff er impulsiv nach ihren zarten, von Schrammen zerschundenen Händen und bedeckte die Handgelenke mit heißen Küssen.
„Jetzt wasche ich dich, ja?“ sagte er und hob den Blick.
Was sollte sie sagen?
„Ja. Fein. Natürlich, sehr gut!“ Was sollte sie sich denn noch anderes wünschen, als dass diese schmalen, zärtlichen Hände, an die sie so oft gedacht hatte, sie auszogen, wuschen und ins Bett legten.
Was dann kam, geschah schweigend und hastig. Sie spürte seine Ungeduld und er ihre ungehemmte Offenheit, sie fühlten fieberhaftes Ungestüm, das sie nicht verbargen und nicht verbergen wollten. Im Bewusstsein seines Verlangens zeigte er verhaltene Zärtlichkeit, die sie umso mehr zu reizen schien. Als er, ihrer heftigen Leidenschaft widerstehend, flüsternd fragte: „Darfst du alles?“, antwortete sie nur mit einem Nicken, sich an ihn schmiegend, etwas ärgerlich gar und rasch, als sei sie bitterböse, dass er sie noch so etwas fragen konnte in diesem Moment. Also fragte er nicht weiter, wie ihr zumute war, was sie durfte und was nicht, nichts. Er begriff, sie wollte alles, nur keine Fragen: fühlen, dass sie lebte und gesund war, und seine Lust. Sie schien nicht mehr sie selbst zu sein, sondern eine andere, anregender, begehrenswerter denn je, so toll, so gierig gab sie sich. Und ohne das im Geringsten zu verbergen, schien sie alles zu tun, all ihre Wünsche so schnell wie möglich zu erfüllen.
Dann in seinen Armen, mit heißer Wange an seiner Brust, fing sie an, ihn zornig zu schelten. „Und ich? Niemals hätte ich gedacht, dass du so grob, so rücksichtslos und egoistisch sein kannst“, murrte sie, milderte freilich ihren Vorwurf, indem sie mit den Fingerspitzen über seine Augenlider strich.
Dragan antwortete nicht sofort. Er wusste nicht, was sie von ihm wollte. „Ich werde nie wieder so zu dir sein“, versprach er trotzdem nach einiger Zeit.
„Auch wenn wir einen ganzen Monat nicht zusammen gewesen sind?“
„Das kann ich jetzt nicht sagen. Doch du hast vollkommen recht: Die lange Enthaltsamkeit ist schuld.“
„Lange...?“ fauchte Anica.
„Außerdem war ich in letzter Zeit so überanstrengt, dass ich zu versagen fürchtete. Ich schäme mich, darüber zu reden.“
„Da gibt es nichts zu schämen.“
„Wir reden miteinander wie Mann und Frau“, sagte er.
„Wie sollte es auch anders sein?!“
Anica zweifelte daran, jemals seine Frau werden zu können, wenn sie sich erotisch so wenig verstanden, so schlecht aufeinander eingingen wie in den vergangenen Minuten. Doch empfand sie gleichzeitig eine Zärtlichkeit für ihn, wie sie ohne starke erotische Bindung nicht möglich war. Und sie verspürte das Verlangen, es gleich noch einmal zu versuchen. Aber dann fiel ihr ein, was er von seiner Überanstrengung gesagt hatte. So blieb sie ruhig neben ihm liegen.
Dragan meinte aus Anicas Worten und Vorwürfen eine gewisse Erbitterung herauszuhören, als glaubte sie, ihn fortan nicht mehr von dem überzeugen zu können, wovon sie ihn in diesem Augenblick nicht zu überzeugen vermochte. Dieser Gedanke durchzuckte ihn nur kurz, weil er ihm zu ungereimt schien; immerhin kam er ihm.
„Warum schläfst du nicht, Anica?“ fragte er vorsichtig. „Ich fühle doch, wie müde du bist.“
„Das schon, aber ich kann nicht schlafen.“
„Warum setzt du dich auf?“
„So kann ich besser sprechen. Ich muss dir was sagen...“
„Morgen. Leg dich lieber hin. Du bist hundemüde. Ich habe direkt Angst um dich, Anica, so müde kommst du mir vor. Stören dich die Scheinwerfer? Ich stehe auf und lass das Rollo runter.“
„Mich stört nichts.“
„Dann deck dir die Schultern zu. Zieh die Decke hoch. Dir wird kalt. Willst du unbedingt so sitzen?“
„Ja. Hör mal, Dragan, du weißt ja gar nicht, wie viel es mir bedeutet, mit dir heute zusammen zu sein.“
„Warum sollte ich das nicht wissen?“
„Nein, du weißt es nicht. Bevor ich dir nicht alles erzählt habe, was mir widerfahren ist, kannst du es nicht einmal ahnen. Erst wenn ich dir´s
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