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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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getrocknete Tierpfoten und Vogelkrallen, Amulette, Haarlocken, trägt Unterwäsche von Freundinnen, besitzt Unmengen Fotos von Familie, Frauen, Hunden, Kühen, Pferden, Autos, Bilder von Präsidenten, Idolen und Popstars – ausgeflippter als Fernfahrerfetischisten. Ein Obercorporal trug ein Müsli-Plätzchen durch seine gesamte Dienstzeit mit sich herum, in Aluminiumfolie und drei Paar Socken eingewickelt. Er musste deswegen ne Menge einstecken: `Wenn du schläfst, essen wir dein Scheiß-Plätzchen.´ Doch seine Frau hat es ihm gebacken und ihm geschickt, da kennt er keinen Spaß.“
    Nymiah sprach gesenkten Blickes, und seine Stimme war überraschend tief, gar nicht jungenhaft, und wurde immer leiser, als er fortfuhr: „Bei Einsätzen kannst du Männer sich um den Unverwundbaren drängeln sehen, den viele Trupps sich ausgeguckt haben und der sich und alle, die nahe genug bei ihm bleiben, durch ein Gefilde der Sicherheit führt, wenigstens bis er turnusgemäß nach Hause kommt oder weggepustet wird, und dann überträgt die Mannschaft den Zauber auf jemand anderen. Es gibt auch Spielarten echter religiöser Erfahrung, gute und schlechte Nachrichten. Ne Menge Jungs finden im Krieg ihr Mitleid, ein paar finden es und können damit leben, kriegsumspülter Gefühlsstillstand, wie bei einem, den´s nicht kümmert. Die Leute ziehen sich auf Positionen grausamer Ironie oder Zynismus oder Verzweiflung zurück, einige suchen den Kampf und entscheiden sich für ihn, bloß durch gewaltige Gemetzel fühlen sie sich so lebendig. Einige werden allerdings einfach plemplem, sie folgen dem Pfeil unsichtbaren Lichts in den Wahnsinn, der da treuverwahrt achtzehn oder fünfundzwanzig oder fünfzig Jahre auf sie gewartet hat. Bei jedem Kampf hast du die Erlaubnis durchzudrehen, jedermann schnappt dort irgendwann wenigstens einmal über, und niemand merkt es, und man merkt kaum, wenn man wieder zurückschnappt...“ Nymiah kratzte sich verlegen, eine Schnute ziehend, am Haaransatz hinterm rechten Ohr, und seine Stimme bekam wieder ihren gewohnten jungenhaften Klang. „Da kannste was erleben, ehrlich, ich hab Storys gehört! Na, wenn das nichts ist. Ich könnt dir noch Sachen erzählen...“
    Über dem Gebirgskamm zeigten sich erste fahlgraue Streifen, langsam kroch das Morgengrauen herauf und mit ihm unter anschwellendem Turbinengedröhn ein Schwarm Libellen, der neben den abgeschossenen Helikoptern niederging. Die Journalistin nahm die Kamera ans Auge. Sie konnte sich der Faszination der Technik nie vollends entziehen, weder bei ihrem Camcorder, noch bei Hubschraubern oder Waffensystemen. Was sie jetzt sah, war die Kehrseite der Medaille. Trupps von zerlumpten, verdreckten, übernächtigten Soldaten liefen auf die Maschinen zu, stierten starr geradeaus, die Augen rotgerändert vor Überanstrengung. Ihre Gesichter – ausgemergelt und gealtert von all dem, was während der letzten Stunden passiert war – zeigten Erschöpfung, doch vor allem unaussprechliche Angst, die flackernden Augen suchten unentwegt den Horizont ab, belauerten den unheimlichen Gegner noch, als die Bordmaschinengewehre drohend herauslugten. Sie stolperten die eisernen Steigleitern hinauf, jeder darauf bedacht, so schnell wie möglich in den schützenden Leib der Riesenlibelle zu gelangen, sich mit ihr in die Lüfte zu erheben und das Weite zu suchen. Zudeck-Perron knipste die ungeordnete Flucht der geschlagenen, zermürbten Truppe, setzte verdutzt den Fotoapparat ab, da der Soldat, den er im Sucher hatte, unversehens vornüber fiel und liegen blieb. Er sah, wie der Mann den Kopf hob und die Hand nach seinem Kameraden ausstreckte. Niemand kümmerte sich um ihn. Unweit von ihm schrie ein anderer Soldat auf, griff sich an den Hals. Da erst bemerkten die anderen, dass sie unter Beschuss lagen, der von dem Getöse der Helikopterturbinen übertönt wurde. Er verschluckte auch die Detonationen der Werfergranaten, die mitten zwischen den Libellen einschlugen. Die Hast der Soldaten verwandelte sich in Panik, und Zudeck-Perron ließ sich mitreißen. Die Piloten schrien, man solle sich beeilen, und noch während ein letzter Mann durchs Schott kletterte, hob die erste Maschine ab. Ein weiterer Soldat klammerte sich im letzten Augenblick mit vor Angst irrem Blick an das Fahrwerk des abhebenden Hubschraubers und hing dort, bis die Kräfte ihn verließen. Seine verkrampften Hände lösten sich von dem kalten, öligen Stahlzylinder der Landefederung, und mit einem von niemand mehr

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