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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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erzählt habe, wirst du´s verstehen. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie ausnehmend dankbar ich dir gerade jetzt bin.“
    „Dankbar? Wofür?“
    „Für deine Liebe.“
    „Unsinn! Kann man für Liebe denn dankbar sein?“
    „Sag nicht wieder Unsinn. Man kann.“
    Er spürte, dass da außer ihrem Wiedersehen noch etwas anderes war, was sie bewegte; doch er begriff noch nicht, was das war. Sie war voller Dankbarkeit, dass er da war, nachdem sie so viel durchgemacht hatte, er war dankbar, dass sie kaum verletzt und vor allem überhaupt am Leben und dass sie wieder hier bei ihm war.
Doch wofür sie ihm so sehr dankbar sein sollte, war ihm nicht wirklich bewusst. Etwa dafür, dass er sie gewaschen und ihre Hände geküsst hatte? Oder dafür, dass er sie liebte wie immer oder sogar stärker denn je? War das nicht einfach natürlich?
Gleichwohl empfand sie tatsächlich tiefe Dankbarkeit für die Kraft ihrer Liebe, dafür, dass sie nun, da sie diese Liebesenergie erneut spürte, so stark verlangte, ihm von alldem zu erzählen, was ihr aufs Gemüt drückte, als müsse sie sterben.
    Sie seufzte und lächelte, als wollte sie sich mit diesem Lächeln all das Gute und Zärtliche zurückrufen, das zwischen ihnen in dieser Nacht bereits gewesen war. Er sah dieses Lächeln nicht, doch spürte er es. „Du lächelst? Warum lächelst du?“
„Über dich.“ Sofort wurde sie wieder ernst. „Dass wir zusammen sind, bedeutet alles auf der Welt, was unser Leben ausmacht, in dieser bösen Zeit.“
    „Es ist nicht die Zeit, die böse ist.“
    „Es ist alles viel, viel schlimmer, als du es dir vorstellen kannst.“
Er zuckte zusammen und wartete gespannt, was nun kommen würde. Sie dachte, dass er sie gleich fragen werde, was das zu bedeuten habe. Aber er fragte nicht. Er hatte sich nur aufgesetzt wie sie.
    Während sie dann berichtete, wurde er zutiefst unruhig. Sie sprach allerdings mit fast gleichmäßiger, leiser Stimme, so dass sie ihm vollkommen ausgeglichen erschienen wäre, wenn er sie weniger gut gekannt hätte.
    So schwer es ihr auch fiel, sie erzählte ihm alles der Reihe nach. Sie sprach von der gewaltigen Bestürzung der Menschen angesichts des Schreckens und der Sinnlosigkeit des Geschehens. Sie berichtete ihm alles, ohne ihn zu schonen, so wie der Krieg sie selbst auch nicht geschont hatte, und er hörte ihr geduldig zu, sie nur ab und zu durch eine knappe Frage unterbrechend. Anica und Dragan bewiesen sich ihre Liebe, jene große, nie alternde Liebe, die das Schicksal den Menschen nicht jeden Tag und nicht unter jedem Dach schenkte.
    Sie verstanden einander. Natürlich machte das gegenseitige Verstehen noch nicht ihre ganze Liebe aus, war freilich ein wichtiger Bestandteil ihrer Liebe, der mit der Zeit an Bedeutung zunahm. Ein Gefühl, in dem dieses gegenseitige Verstehen fehlte, mochte keiner der beiden als Liebe bezeichnen.
    Gegen Morgen fühlte er im Halbschlaf, wie sie seine Hand zu sich herüberzog, um auf seine Armbanduhr zu sehen. Sie müsse jetzt aufstehen, flüsterte sie ihm ins Ohr. Er zog sie wortlos an sich und sie schmiegte sich fest an ihn. „Keine Sorge“, flüsterte er, streichelte sanft ihre Haut. „Ich werde nie wieder so grob zu dir sein. Niemals. Oder hast du Angst?“
    „Nein“, seufzte sie, presste dabei jedoch die Zähne zusammen aus Furcht, es würde ihnen auch diesmal nicht wohl gelingen.
    „Wie zärtlich du sein kannst“, hauchte sie dann; und das nach ihrem anfänglichen Grobheitsvorwurf.
    Dragan dachte daran, dass sie während der Nacht trotz ihrer Müdigkeit so viel gesprochen hatten, und viel Nichtiges hatte er ihr wohl gesagt. Nie hätte er sich so zärtlicher Gefühle, solcher Dankbarkeit einer Frau gegenüber für fähig gehalten.
    „Ich liebe dich“, sagte er.
    Anica lächelte. Nicht dass sie dem Wort „Liebe“ einen besonderen und erhöhten Sinn beimaß gegenüber dem, was er ihr sonst sagte. Sie nahm es als kürzeste Formel für das Wichtigste, das man sich zu sagen hatte, sich ein Leben ohne einander nicht mehr vorstellen zu können. Ein Wunder war ihnen widerfahren. Das Lächeln über dieses Wunder blieb Anica im Gesicht stehen, als sie noch einmal einschlief.
    Dragan betrachtete seine schlafende Geliebte und wunderte sich: Wie wichtig sie in meinem Leben ist. Er lächelte bei dem Gedanken, dass sein ganzes Glück dort neben ihm lag, in diesem nackten, verletzlichen, gelösten, im Augenblick friedlichen und gedankenlosen, traumverlorenen Körper. Von wie wenig

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