Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
Gewicht nicht aus, riss allmählich und ließ seinen Träger, den es jetzt selbst hätte tragen sollen, abstürzen.
Das hat er nun davon, dachte Anica mit einer emotionalen Kühle, über die sich erst wunderte, sich ihrer rasch zu schämen begann. Das hat er jetzt von seinem unbenutzt gebliebenen Fotoapparat, formulierte ihr Hirn automatisch weiter.
Über dem Aerodrom Vojkovic strahlte die Sonne, als die Hubschrauber auf der Militärpiste aufsetzten. „Sie nehme ich jederzeit wieder mit“, sagte der Oberleutnant zu Anica. „Sie bringen mir Glück.“
Sie hörte seiner Stimme an, dass er in seiner kritischen Meinung über Journalisten im Allgemeinen und Fotoreporter im Besonderen wohl nachgeben, sich aber nicht abfinden wollte.
„Ist denn jemand ein besserer Mensch, vor allem im Kampf, wenn er als Glücksbringer gilt?“
„Ich will Ihnen nicht zu nahe treten...“
„...und meinen Kollegen nicht anschwärzen, ja?“
„Das haben Sie gesagt. Sie sind mit ihm zusammen, und müssen mit ihm zurechtkommen.“
„Nicht viele trauen sich, so mit mir zu reden.“
„Diese Angst habe ich nicht gerade, pardon.“
„Im Gegenteil, Sie mögen diese...“
„...Memmen nicht, offen heraus gesagt.“
„Sonst kuschen die Männer doch auch gleich. Ihre sind da keine Ausnahmen.“
„Passen Sie auf, wenn Sie weiter so keck sind, verliebt man sich noch in Sie.“
Sie lächelte flüchtig, scheinbar wie über etwas, was nur deswegen nicht zu verwirklichen sei, weil sie es selbst im Augenblick nicht zulasse. Tatsächlich waren ihre Gedanken bei Dragan. Ob ihm bei seinen Flügen über Kriegsgebiet nicht irgendwann doch einmal etwas zustieß?
Corporal Noah Nymiah war der erste der übriggebliebenen Soldaten, die sich der Reihe nach von ihr verabschiedeten, aber er war auch der letzte: Er stellte sich erneut an der kleinen Schlange an, und das stumme, kehlentrockene Lebewohl geriet zu einer herzlichen Umarmung mit der deutschen Fernsehjournalistin. „Farewell, my dear friend, and good luck.”
Der zweite Soldat, der nicht zum Fotografieren seines Blickes auf den Krieg gekommen war, trug seine lädierte Kamera wie eine stolze Trophäe, tätschelte sie zärtlich und sagte triumphierend zu jedem, dem er begegnete: „Sie hat mir Glück gebracht, nämlich das Leben gerettet; die Kugel wäre mir mitten ins Herz geschlagen.“
Bereitstehende Transportfahrzeuge nahmen die zurückkehrenden Soldaten auf. Passagiere, die vom Abfertigungsgebäude zu einem Zivilflugzeug gingen, warfen neugierige Blicke auf die Reihen der abgerissenen uniformierten Fremden. Motorenlärm schwoll an. Der Flieger, der über den Platz gekreist war, solange die Helikopter niedergingen, setzte zur Landung an. Bevor die Tupolew die Piste berührte, schaukelte sie mit den Tragflächen.
„Der Flughund“, knurrte Zudeck-Perron mürrisch, während Anica ohne zu überlegen über den betonierten Vorplatz hastete. Der Fotograf sah ihr stirnrunzelnd nach und machte seine Kamera mit dem Teleobjektiv schussbereit. Wenig später sah er durch den Sucher, wie Anica den Piloten umhalste.
Ein Militärpolizist kam herbeigelaufen. „Das ist nicht erlaubt“, rief er. „Sie wird Ärger mit dem Zoll bekommen!“
„Von da, wo wir herkommen, gibt´s nichts, was sich zu schmuggeln lohnen würde“, sagte Zudeck-Perron ohne die Kamera herunterzunehmen. „Höchstens Leichen.“ Neidvoll beobachtete er das Pärchen. Eine Deutsche und ein Serbe, dachte er, wie geht das zusammen? Ob ich die kleine Bosnierin wieder in die Arme nehmen kann?
„Ich sehe“, sagte der Flieger unter seiner Frachtmaschine zu der Journalistin, „ich bin im richtigen Augenblick gelandet.“
Er musterte ihr zerkratztes Gesicht, in dem die Augen, müde und gerötet, tief und dunkelgerändert in ihren Höhlen lagen. Ihre Hände waren zerschunden, unter den eingerissenen Nägeln zeigten sich fette, schwarze Schmutzränder, ihre Bluse war zerfleddert und die Hosenbeine hingen in Fetzen um die zerschrammten Knöchel. Sie lächelte unsicher.
„Amazonenkluft “, sagte der Flieger.
„Ich bin froh, dass du da bist, Dragan“, sagte Anica.
„Ich bringe dich ins Stari Grad“, sagte er. „Was haben sie bloß mir dir angestellt, Anica?“
50 Wieder vereint
„Ist es arg schlimm gewesen?“ fragte Dragan im Hotel leise. Ihm war, als versuchte sie sich mit geschlossenen Augen an etwas zu erinnern, und er fürchtete, sie in ihren Gedanken zu unterbrechen. Weil er so leise sprach und weil sie in
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