Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
gebogene Nase an einen Rabengeier erinnerte; auch sein borstig-widerspenstiges Schwarzhaar mit eisgrauen Strähnen entsprach Burkharts Beschreibung. Wenn er lachte, was er ständig ohne ersichtlichen Grund tat, zeigte sich ein mit reichlich Gold geflicktes Gebiss, so dass Mary-Jo Anica zuflüsterte: „Sieht aus wie die Bar-Theke vom Holiday Inn.“
Kamensiek rückte seine Hornbrille zurecht und wandte sich an Anica, während sie um den Flaschenkühler standen und Champagnercocktails probierten. „Sie sind lange genug hier, länger als ich. Wie beurteilen Sie die Lage im Lande?“
„Die politische?“
„Mehr allgemein. Freilich lässt sich die militärische Lage hier kaum von der politischen trennen.“
„Sie meinen in Bosnien und der Herzegowina?“
„Im besonderen, ja.“
„Wissen Sie“, wich Anica aus, „das ist eine interessante Frage. Schwierig zu beantworten. Eigentlich beobachte ich die Ereignisse hier nur so vom Rande her.“
„Pudding mit Himbeersauce“, mischte sich Frau Kamensiek in der für sie typischen Art ein, so dass sich Anica wieder mal die Haare sträubten. „Mister Ball sagte mir, Sie seien TV- Journalistin. In diesem Beruf müssten Sie doch mehr sehen als andere Ausländer.“
„Mag ja sein“, lenkte die Journalistin nachsichtig ein. „Doch ich betrachte alles vorwiegend quasi durch das Kameraobjektiv. Da fesseln mich die Motive zunächst rein technisch.“
„Stimmt“, warf Kamensiek ein, „als Fotograf kann ich das nur bestätigen. Während die spannendste Episode abläuft, muss man den Moment erwischen, an dem sie ihren Kulminationspunkt erreicht. Das ist jener Sekundenbruchteil, in dem das Sucherbild all die Substanz aufweist, die das Foto später für sich sprechen lässt.“
„Was man deinen Fotos leider nie ansieht“, meinte seine Frau. „Er macht Dias. Nicht zum anschauen. Wenn Sie wollen, laden wir Sie herzlich zu einem Lichtbildvortrag ein...“
„Vielen Dank“, antwortete Anica, „bei Gelegenheit gern. Wir TV-Kameraleute schießen ja keine Einzelfotos, sondern Serien, deren lebendiger Ablauf auf die Fernsehzuschauer einwirkt. Da kommt es darauf an, an den richtigen Stellen zu schneiden, das Überflüssige zu eliminieren und die passenden Szenen aneinander zu reihen. Als Hobby fertige ich per Computer aus Standbildern Einzelablichtungen und Vergrößerungen. Da spielen dann Raumaufteilung und einkalkulierte Lichteffekte genauso eine Rolle wie der Gesichtsausdruck eines Menschen, die Dynamik der Aktion, Weißabgleich-Einstellungen und viele andere Faktoren. Nicht zu reden von der rein handwerklichen Technik des Kameramenschen, die in jedem Augenblick voll und ganz eingesetzt werden will.“
„Vor allem die Gesichter“, sagte Kamensiek, „sie verkaufen die Bilder. Dafür braucht, man das Gefühl für den absoluten Augenblick, den genau getimeten Höhepunkt...“
„Wie ich höre, Frau Klingor“, warf Frau Kamensiek mit missbilligendem Blick auf ihren Mann dazwischen, „haben Sie das bei der Polizei gelernt. Die Kamera auf demonstrierende Kurden und protestierende Rechtsradikale halten und...“
„...nur erstere identifizieren können“, fuhr Kamensiek fort.
„Nicht ganz so“, erwiderte Anica lächelnd. Sie hatte als Erste Kriminalhauptkommissarin tatsächlich an einem mehrwöchigen Videokurs teilgenommen, erstens aus persönlichem Interesse und zweitens, um nicht dümmer als ihre Untergebenen da zu stehen. „Bisweilen ist das Ergebnis der lichtbildnerischen Arbeit unbefriedigend, wenn es auch nur an Kleinigkeiten mangelt wie Motorzoombedienung und Focus-Justierung. Oder Fingerspitzengefühl zum Beispiel. Jedenfalls bleiben politische Überzeugungen zunächst mal ganz außen vor.“
Die Kamensieks nickten mit zusammengepressten Lippen. Er fand als erster wieder Worte. „Zum bilateralen Aspekt solcher Bilder, und der lässt sich zweifellos nie wegleugnen, leitet Sie aber doch wohl, wenn ich richtig vermute, im Wesentlichen Ihr politischer Instinkt.“
Anica leerte ihr Glas. „Wenn Sie das so formulieren wollen...“ Sie dachte an den Herweg unter Granateinschlag und den Tod des Legionärs, doch von sich aus wollte sie dieses Thema nicht anschneiden.
„Interessanter Job“, bemerkte Frau Kamensiek. „Für wen arbeiten Sie?“
Anica ließ sich Zeit mit der Antwort, die so ausfallen musste, dass für die Konsulatsangehörige möglichst keine Frage offen blieb. Sie füllte umständlich die Gläser, um schließlich zu erklären: „Ich bin
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