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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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was wohl noch auf sie zukommen mochte.
    MGs hämmerten ohrenbetäubend. Die Libelle versuchte Höhe zu gewinnen, die Turbine heulte auf, aber die Salve hatte sie bereits getroffen. Immer langsamer drehten sich die Rotorblätter, kamen zum Stillstand, als die plumpe Maschine hinter dem Gefängnisbau nieder torkelte.
    Anica hob die Kamera, machte, die Straße hinunterschreitend, Aufnahmen von dem Handgemenge, das sich vor der Festung entspann. Als jedoch bald darauf ein Trupp Soldaten im Laufschritt und mit erhobenen Gewehren die Dorfstraße heraufgelaufen kam, zog Zudeck-Perron seine Kollegin in den Eingang eines Hauses.
    Eine Kette Tornados brachte in kürzester Zeit mit präzisem Raketenhagel die Artillerie zum Schweigen und zog wie ein gespenstiger Spuk ab.
    Unvermittelt setzte Turbinenlärm ein. Die Libellen tauchten aus der Tiefe der Schlucht auf, in deren Deckung sie sich herangeschlichen hatten. Anicas Kamera dokumentierte, wie sich neun große Chinooks über dem Dorf zum Karussellflug formierten. Das Gedröhn ihrer Turbinen, vorher gedämpft durch die Steilwände des Canyons, die den Lärm senkrecht in die Höhe leiteten, erfüllte die Luft, so dass die Journalistin glaubte, ihr platze der Schädel. Zunächst sah es so aus, als wolle die Fliegerstaffel niedergehen, um direkt über der Ortschaft Truppen abzusetzen, doch dann blitzten die Zündflammen ihrer Raketen in den Rümpfen auf und die armdicken Pfeilgeschosse rasten zischend zwischen die Häuser. Der höllische Libellenreigen drehte drei Runden, von jeder Maschine lösten sich vier Raketen pro Salve. Der Aufschlagknall mutete seltsam leise an und klang hohl. Die konventionellen Detonationen mit den üblichen Erdfontänen und Qualmpilzen blieben aus.
Mechanisch griff Anica zu ihrer Gasmaske.

67 Gasangriff
     
    „Was soll das?“ fragte Zudeck-Perron.
    „Gas!“ keuchte sie und: „Hier, nehmen Sie“, und reichte ihm ihre Ersatzmaske.
Im Dorf ertönte Geschrei. Kinder jammerten, allgemeines Husten setzte ein, die Leute versuchten der unfassbaren Bedrohung irgendwohin zu entfliehen, rannten wirr in alle Richtungen, kamen jedoch nicht weit und brachen nach wenigen Schritten zusammen, rangen verzweifelt nach Luft und verloren schließlich das Bewusstsein. Diejenigen, die feuchte Tücher zur Hand hatten, sie sich vors Gesicht zu drücken, waren gerade noch ein wenig geschützt, wenn sie nur in den zerflatternden Rest einer unsichtbaren Giftwolke gerieten. Doch bei der Konzentration, mit der das Dorf von den Chinooks überfallen wurde, hatte nicht ein einziger der Menschen eine Chance.
Die Schweine stoben in Richtung auf den Pass davon. Einige von ihnen blieben unterwegs krampfartig zuckend liegen und drehten sich schließlich auf die Seite. Das Kleinvieh hatte der Dosis nicht standhalten können, etliche Hühner und ein paar Gänse waren tot.
    „Das ist Piperidin“, erklärte Anica nuschelnd unter ihrer Gasmaske zu Zudeck-Perron, der das Teleobjektiv absetzte und auf die Uhr sah. „Nicht direkt lebensgefährlich, aber mit langanhaltender Wirkung. Vor allem bei der jetzigen Windstille. Allerdings bei Kindern? Ob die jungen Bronchien das aushalten? Einen Erwachsenen setzt das Gas für mehrere Stunden matt.“
    Zudeck-Perron schwieg. Er hatte die anfliegenden Libellen abgelichtet und wechselte die Filmrolle.
    „Es stört ungemein beim Knipsen“, ließ er sich dann mit dumpfer Stimme vernehmen. „Ich meine die verdammte Schnüffelbüchse.“
„Ich finde das viehisch“, sagte Anica in ihre Maske. Durch die Schaugläser sah sie das martialische Outfit Zudeck-Perrons, dachte, wie entstellt sie selbst gleichfalls ausschauen musste durch die apokalyptisch wirkende Gummilarve mit dem wuchtigen Blechfilter unter dem Kinn.
    „Was sagen Sie erst zu dem Hundemonstrum, Klingorchen?“ brummte Zudeck-Perron.
    „Unmenschlich“, näselte Anica.
    „Ein Untier“.“
    „Wer? Der Oberst?“
    „Der ist ein Unmensch.“
    „Nein. Umgekehrt.“
    „Eigenartige Philosophie“, entgegnete Zudeck-Perron. „Aber nicht ohne Reiz. Un-Tier – der Mensch, Un-Mensch – das Vieh. Ich denk mal drüber nach.“
    Anica hatte sich so an das ununterbrochene Dröhnen der Geschütze und das Geknalle der Gewehre gewöhnt, dass es ihr wieder wie Stille vorkam, und als jetzt alles zu Ende war und wirkliche Stille eintrat, nahm sie es nicht gleich wahr.
Im Dorf krochen die Menschen hilflos zwischen den Häusern umher. Allen hatte das Gas die Sehfähigkeit genommen. Die Leute suchten

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