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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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sei das unaufschiebbar und müsse unbedingt in diesem Augenblick erörtert werden, warf sie ihm Draufgängertum und Gewinnsucht vor. Dragan wollte darüber hinweggehen, er strich ihr über den blonden Schopf, schwieg. Und obwohl sie sein Widerstreben spürte, fauchte sie weiter: „Nun, warum? Kriegst du den Hals nicht voll? Denkst du denn kein bisschen an mich?“
    „Und du selbst, Anica, Liebes? Kannst du mir denn versprechen, deine Kriegsabenteuer zu überleben?“
    Sie wollte sich seiner Umarmung entziehen, er hielt sie. „Sei still!“ flüsterte sie heftig. „Du...“ Auf einmal verstummte sie, als sei ihr etwas anderes, viel Wichtigeres eingefallen. Verstummte und hauchte dann sanft, ja gelassen: „Letzten Endes ist das deine Angelegenheit. Du musst wissen, was du willst. Eigentlich ist es ja doch ganz egal.“
    „Ganz egal? Warum egal?“
    „Na ja, eben ganz egal“, wiederholte sie.
    Er wunderte sich, dass ihr auf einmal völlig egal sein sollte, worüber sie sich gerade noch so sehr ereifert hatte. Doch war er zufrieden, dass sie von diesem Thema abkam. Zudem spürte er, sie hatte den Glauben an ihn nicht verloren, hielt weiter zu ihm, und er wusste, dass sie in dieser Situation sich gar nicht anders hätte verhalten können. Sie konnte sich nur nicht beherrschen, gereizt wie sie war, weil sie um sein Leben fürchtete.
„Ich soll dich lieb von Lepa Brena grüßen“, schloss er in versöhnlichem Tonfall. Und ein wenig misstrauisch fuhr er fort: „Kluges Mädchen, und so was fragt mich nach deinem Freund Paul.“
    „Hier!“ rief Zudeck-Perron erregt. „Wo ist sie?“
    „Ach, Sie sind das“, sagte Dragan erleichtert und verwundert. Er deutete mit einer knappen Geste über seine Schulter. „Irgendwo dort hinten werden Sie das Mädchen finden.“ Er sah dem schwitzenden Fotoreporter nach, der, bevor er ausgesprochen hatte, blindlings davongerannt war. „Vielleicht fragen Sie“, rief er ihm kopfschüttelnd, achselzuckend nach.
    „Und Ihnen soll ich einen schönen Gruß von Ihrem Bruder ausrichten, Ball“, sagte Anica zu dem anderen Ankömmling, der als Aufpasser für den Serben im gescheckten Kampfanzug, mit verschränkten Armen, Kaugummi malmend dabeistand.
    „Von Burky?“ fragte der Angesprochene, tat erstaunt. „Die Welt ist ein Kaff.“
    Die Journalistin hatte ihn auf Anhieb erkannt. Sein Mund mit den wie bei seinem Bruder etwas zu dicken und breiten Lippen verzog sich, als sie ihm die Hand reichte. Er schlug ein mit dem virilen Blick und der herablassenden Freundlichkeit des Soldaten, der in jedem Zivilist einen Feigling, in jeder Frau das Hausmütterchen oder die Hure sah.
    „Sie machen hier als Beobachter mit, Ball?“ fragte Anica.
    „Ich bin master sergeant bei den Marines“, erklärte er stolz.
    „Amerikaner, ja?“
    „Mein leiblicher Vater ging vor einiger Zeit in die Staaten“, erwiderte er.
    „Sie sind also in der US-Army, Ball, wie umgekehrt ein Eishockey-Crack der NHL, der in der deutschen Bundesliga bei den Eisbären spielt?“
    „Genau“, rief der junge Mann. „So hat es zwar noch niemand ausgedrückt, aber es ist die beste Definition, die ich bislang gehört habe. Übrigens bin ich, wie gesagt, master sergeant, Ma´am.“
„All right, Ball, Sir!” sagte sie. „Übrigens – Ihr Bruder hat mir diesen Brief für Sie mitgegeben.“
    Ball zerfledderte das Kuvert beim liederlichen Aufreißen und überflog die Zeilen. Seine Miene drückte den bornierten, gelangweilten Überdruss des kleineren Bruders aus, dem der ältere einen gut gemeinten, sozusagen väterlichen Rat geben will. Nachdem er den Brief unordentlich gefaltet und eingesteckt hatte, sagte er bockig: „Ich bin drei mal sechs, da mache ich schon lange, was ich will.“
    „Schreibt Burkhart von seiner Frau?“
    „Kein Wort.“
    „Sie ist nämlich in Gefangenschaft geraten.“
    „Tut mir leid für Mary-Jo. Aufrichtig. Soll ein nettes Mädchen gewesen sein. Hab sie nie gesehen.“
    Anica fuhr zusammen, als ein dumpfes Wummern das eintönige Geräusch des Regens unterbrach. Sie kannte den Klang der Artillerie, eine D-30-Haubitze. Automatisch ging sie mit dem humpelnden Dragan hinter einer Fenstermauer in Deckung. Auch Ball tauchte blitzschnell dahinter unter. Die ersten Geschosse schlugen unweit der Stelle ein, an der die UN den Oberst vernahm, während Frau und Kind um sein Leben und seine Freiheit zeterten. Die zweite landete zwischen den benachbarten Häusern. Die Soldaten brachten sich in Sicherheit,

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