Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
zurückstehen wollte. Der ungleiche Kampf in der Zelle nahm indes einen unerwarteten Verlauf. Der angegriffene Mann am Boden fasste all seinen Mut zusammen und packte unversehens zu, umspannte mit beiden Händen einen der Hälse des Hundes. Ein zweiter nahm sich ein Beispiel, kam ihm zu Hilfe, ergriff den anderen Kopf. Ein dritter und vierter – angespornt durch ihre Zellengenossen – fassten gleichfalls zu, je an einem der Häupter, und die jungen Männer zerrten mit vereinten Kräften und verzweifelter Anstrengung, solange, bis die Halswirbel krachten und die beiden Köpfe der verunstalteten Missgeburt auseinandergerissen wurden. Die übrigen Männer hatten unterdessen ihre Essnäpfe zerschlagen und hackten mit den scharfkantigen Scherben auf das Rückgrat des Hundekörpers ein. Zwischendurch erhellte andauerndes Blitzlichtgewitter die grausige Szene.
66 Der Alptraum wird Realität
In diesem Augenblick preschte ein Kradmelder durch das Portal und kam seitlich rutschend mit kreischenden Reifen vor dem Oberst zum Stehen, machte in abgehackten Worten seine Meldung. Der Offizier kümmert sich nicht weiter darum, was in der Zelle vorging, sondern kehrte auf dem Absatz um. „Achtung!“ brüllte er. „Die Serben greifen unsere Posten an!“
Zudeck-Perron reagierte sofort. Er ließ sich in affenartiger, kaum glaublicher Geschwindigkeit vom Deckengitter herunter. Der Kampf der Männer mit dem Ungeheuer interessierte ihn nicht mehr. Er folgte Anica hastig nach draußen.
Auf dem Hof kletterten die Soldaten auf Pritschenwagen. Der Oberst trug Stahlhelm, Magazintaschen, MP. „Gehen Sie in Deckung“, rief er der Reporterin zu. „Wenn ich die Lage überblicke, lasse ich Sie holen.“
Vom nördlichen Rand des Dorfes waren Schüsse zu hören. Außer einer Wache blieb niemand in der Festung zurück. Innerhalb weniger Minuten war der gesamte Ortsrand abgeriegelt. Die UN-Delegierten gingen in Deckung und nahmen eine abwartende Haltung ein.
„Kommen Sie, Klingorchen“, schlug Zudeck-Perron gemütlich vor, „wir gehen hinterher. Der Dickwanst von einem Oberst ist nicht zu bewegen uns mitzunehmen.“ Die Journalistin schloss sich ihm an. Plötzlich stand Detonationslärm in der Luft. „Das sind die verdammten Serben mit ihrer verfluchten Artillerie“, sagte der Fotograf. „Liegen auf der Passhöhe, irgendwo im Osten.“
Der Geschützlärm klang Anica in den Ohren wie eine Orgel, an der nacheinander alle Register gezogen wurden, in Überlautstärke freilich. Wenn es derart dröhnt, überlegte sie, so ist das andererseits der Stille nicht unähnlich. Aber lässt sich ständiger Lärm wirklich mit absoluter Stille vergleichen? fragte sie sich. Im Krieg liegt scheinbar alles sehr dicht beisammen, oder besser gesagt, der Krieg gleicht einer Kreisbahn, auf der, geht es in entgegengesetzte Richtungen, sich die extreme letztendlich begegnen, ganz weit links wird dann bald rechts.
Zwischen den Abschüssen war Flugzeuggeräusch zu vernehmen. „Der Beobachtungshubschrauber“, sagte Anica und blickte gen Himmel. Weit über ihnen schwebte die Libelle, drehte unvermittelt westwärts ab. Sie war noch nicht aus dem Blickfeld verschwunden, als die beiden Reporter durch eine Serie dumpfer Explosionen von dem Gefängnisbau her überrascht wurden. Hinter den gewaltigen Steinwällen schossen Qualmpilze und Erdfontänen empor. Weitere Einschläge folgten und erschütterten den Boden. Gleichzeitig entstand ein seltsames Gerenne auf der Dorfstraße. Einige Soldaten liefen in Richtung auf die Festung davon, andere hasteten zum Ortsrand.
„Serbische Werfergranaten“, sagte Zudeck-Perron, wies zum Gefängnisbau hinüber. „Sieht so aus, als wollten die Kerle den Steinklotz knacken.“
Die zur Bewachung der Festung zurückgebliebenen Soldaten schossen von den Steinwällen auf die plötzlich vom östlichen Dorfrand her aufgetauchten Soldaten, die auf sie zuliefen und Handgranaten zu ihnen hinaufwarfen. Die Soldaten der Nachhut waren in ihrer Handlungsfreiheit durch den spröden Stacheldraht und die spitzen Scherben der Mauerkrone eingeschränkt. Zudem kam der Helikopter zurück, aus seiner Luke tackte ein Maschinengewehr. Das Begleitgedröhn der Artillerie verhallte.
„Nichts wie weg!“ schrie Zudeck-Perron jetzt. „Nur fort!“ Gleichwohl hielt er sich weiter an seine Kollegin, die in einer Mauerhöhlung Deckung gefunden hatte. Anica war wie immer, wenn es wirklich ernst wurde, ruhig und cool, obwohl sie sich natürlich fragte,
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