Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
großes Stück Karton, dass eng von wohl sehr zittriger Hand beschrieben war:
„12. Juli 1995. Die bosnisch-serbische Armee hat die sogenannte UN-Schutzzone erobert. Sie haben den Standort der Niederländer umzingelt. Draußen stand der bosnisch-serbische General Mladic – berühmt-berüchtigt seit langem. Innen hatten die „Beschützer“ der Schutzzone den Serben nichts entgegenzusetzen. Ja mehr noch, sie bemühten sich nicht einmal, das Leben der Angehörigen ihrer engsten Mitarbeiter zu schützen. Ein rotweißes Band und Luft war die einzige Abgrenzung gewesen zu der Mladic-Truppe. Doch wollten die Serben die symbolische Grenze ganz offensichtlich nicht verletzen und nicht überschreiten, sondern sie respektierten sie, indem sie vor ihr haltmachten, wenn auch nicht ohne nachdrückliche Drohgebärden. Und es waren die niederländischen Blauhelme, die ihre Schutzbefohlenen zwangen, das sichere Areal zu verlassen. Die NL-Blauhelme lieferten tausende Menschen an die mordbereiten serbischen Truppen aus, während der niederländische General Tom Karremans sichtlich verschüchtert war, ja vor Angst regelrecht schlotterte. Man hörte ihn den serbischen General Mladic anflehen: „Ich bin Pianist. Bitte erschießen Sie keinen Klavierspieler!“ Später sah man Dutchbat-Kommandeur Oberstleutnant Tom Karremans sein Glas erheben und anstoßen mit dem Serben-General Mladic.
Wir wurden hier vom Rest der Welt verraten und verkauft, die Serben hatten einzig vor, uns auszulöschen. Die UN sind wohl für Menschenrechte in der Welt, aber in ihrem eigenen Machtbereich selbst sollen sie nicht gelten. Es ist wie immer und überall: Jede Macht missbraucht irgendwann ihre Macht.
Die Männer wurden von den Frauen und Kindern separiert. UN-Blauhelme „halfen“ den Menschen derart getrennt in bereitgestellte Busse, was fotografiert wurde von einem niederländischen Offizier im Rang eines Leutnants. Allen Männern war bewusst, dass sie zu Massenexekutionen abgeholt worden waren. Nicht nur Dutchbat, sondern die gesamten UN sahen zu und taten nichts. Nur zwei niederländische F-16-Kampfflugzeuge warfen viel zu spät je zwei Bomben ab. Dabei wurde ein serbischer Panzer vernichtet.
Einer der Dutchbatler wurde vor drei Tagen von einer von einem muslimischen Kämpfer geworfenen Handgranate getötet. So wollten die Muslime verhindern, dass die Dutchbat-Soldaten sich gegenüber den vorrückenden Serben aus einer Stellung zurückziehen würden.
Ich kann auch bezeugen, dass muslimische Kämpfer – wenn auch aus der Not heraus – von der Enklave aus Raubzüge in den umringenden serbischen Dörfern gehalten hatten, wobei Massenmorde und Vergewaltigungen geschehen waren.
In der Enklave waren bis zum Schluss Kamerateams, die auch die Übergabe von Abschiedsgeschenken an Tom Karremans gefilmt haben. „Ist das für meine Frau?“ fragte der niederländische Offizier. „Das können Sie halten wie Sie wollen“, antwortete Mladic jovial grinsend.
Vieles ist also dokumentiert durch Filme und Fotos und wird hoffentlich bald die Weltöffentlichkeit erreichen. Warum bloß konnte das alles hier nicht verhindert werden …“
Damit brach die Handschrift abrupt ab.
Ich für meinen Teil hoffe, dachte Anica, dass ich mein Material unbeschadet in mein Studio und an die Sender bringe – hoffentlich unverzerrt dann an die Zuseher vor den Fernsehschirmen. Gleichzeitig überkam sie Angst, dass ihr daheim all die schrecklichen Ereignisse der letzten Wochen erst richtig zu Bewusstsein kommen würden. Deshalb war sie froh und sie atmete geradezu auf, als der Auftrag sie per Handy erreichte, für drei Wochen in den Norden Afghanistans zu reisen. Drei Wochen? Das war eine hübsche, überschaubare Zeitspanne. Sie nahm die Offerte also dankend an, zumal sie von den Kollegen hier in Bosnien, ihren Worten und Gedanken, erstmal befreit sein würde. Sie verabschiedete sich von niemandem, insbesondere nicht von Zudeck-Perron, aber zu ihrem Leidwesen auch nicht von Dragan, der zu seinem serbischen Familienclan heimgekehrt war, um sich auszukurieren.
ABSPANN
Menschen und Waffen
In Srebrenica starben mehrere Tausend Menschen in einem Massaker ungeklärten Ausmaßes; über sieben Tausend Restleichname hat man ausgraben können. Gerichtsverhandlungen des Tribunals in Den Haag dauern an.
Andere Menschen und mannigfaltige Waffen folgender Nationen waren und sind an diesem Sezessionskrieg beteiligt:
Kroaten, Serben, bosnische Muslime, separatistische Moslems mit
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