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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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schwang sich hinter die Mauer, begleitet von den Blicken des argwöhnischen Dragan.
    Anica kümmerte sich nicht um Ball, zog aber sein Gewehr zu sich heran. Sie richtete das Kind auf und sah sich das gerötete, verquollene Auge an; das andere war blind. Auf Serbokroatisch sagte sie halblaut: „Du brauchst keine Angst mehr zu haben, es geschieht dir nichts. Setz dich doch hin.“
Ball warf ihr böse Blicke zu. „Ich will nichts anderes als Sie!“ zischte er. „Wir müssen doch etwas in der Hand haben, damit wir den Oberst zu fassen kriegen. Übrigens – Journalisten, die Militärs mit der Waffe bedrohen, Ma´am, leben äußerst gefährlich.“
    „Ja, ich habe Sie beobachtet, Ball“, sagte Anica leise. „Ich halte Sie zu allem für fähig, außer zu etwas gutem.“
Das Mädchen hatte sich hingekauert, blickte verängstigt auf Ball. Es begann zu husten. „Du bekommst schlecht Luft, ja?“ fragte Anica.
Das Kind schüttelte den Kopf. „Tut sehr weh.“
    Ball sah misstrauisch zu, wie Anica eine Tüte Schokoladebonbons aus der Tasche holte und dem Mädchen eines hinhielt. „Hier nimm“, sagte sie, „schmeckt gut.“ Die Kleine rührte sich nicht. „Ich will dir helfen“, flüsterte Anica. „Ich bin eine Frau, die nicht zu den Soldaten gehört.“ Doch das Kind öffnete nicht die Hände und nicht die Lippen.
Vom Pass her tackte wieder ein MG. Ball erhob sich, stemmte die Arme auf die schmalen Hüften. „Das Gör beißt Ihnen eher die Finger ab“, sagte er, „und wenn Sie sich noch so viel Mühe geben, Sie Exoten-Fan.“ Er trollte sich einige Meter abseits unter einen Baum und schien sich mit jemand zu unterhalten, den der Stamm verborgen hielt. Nun lugte diese Person zu Anica herüber, die ihn sogleich erkannte. Es handelte sich wahrhaftig um den großen, blonden Legionär, den sie damals bei der Treibminenexplosion auf der Drina vermisst hatten. Dieser unsägliche Held, der kopflose Serben liebt, dachte Anica, unausrottbar solche Typen.
    Die Stimme Noah Nymiahs schallte herüber mit dem Lied vom kleinen Trompeter, während Zudeck-Perron stumm zusah, dabei seine Fotoapparate säuberte. Er setzte das Teleobjektiv ans Auge, rief: „Verdammt!“ und reichte Anica das Fernrohr. Als sie das Glas absetzte, war sie blass geworden. „Der Oberst mit Mary-Jo“, stellte sie fest. „Er benutzt sie als Geisel. Und die schöne Brena will es verhindern.“
    „Was?“ schrie Zudeck-Perron, riss Anica das Fernglas aus der Hand. „Das gibt es doch gar nicht! Meine kleine Bosnierin!“ Bestürzt, gefesselt verfolgte er die Szene.
    Währenddessen hatte Ball unversehens, ehe Dragan oder Anica noch eingreifen konnten, dem Kind ein Seil um den Hals geknotet. Außerdem hielt er das Automatgewehr des Legionärs mit der durchlöcherten Blechummantelung in den Händen. „Go on, brat!” stieß er mit vorgeschobenem Unterkiefer perfide hervor und schubste die Kleine voran, auf den Dorfplatz zu.
    Ball öffnete in aller Seelenruhe eine Konservenbüchse und fischte Fleischstücke mit den Fingern heraus. Beim Kauen behielt er das Kind ständig im Auge, das jetzt mitten auf dem Dorfplatz stand, fünfzehn Meter von ihm entfernt. Die Leine hatte er um einen Mauerstein geschlungen, die Waffe hielt er mit einer Hand im Anschlag.
    „Das erinnert mich an die alten Jägergeschichten“, sagte er und leckte sich die Finger ab. „Früher hat man eine Ziege angebunden, um Wölfe anzulocken.“
    „Und wie fühlen Sie sich bei dem, was Sie jetzt hier für eine Heldentat vollbringen, Ball?“ fragte Anica.
    „Nicht schlecht. Was dagegen?“
    „Ich habe etwas gegen dressierte Un-Tiere“, sagte sie.
    „Ach nee!“ sagte Ball. „Was für Bilder würden Sie eigentlich machen, wenn es uns dressierte Tiere nicht gäbe, Frau Tierliebe? So Leute hab ich gern, die sich über Sachen mausig machen, mit denen sie ihr Geld verdienen.“
    „Im Gegensatz zu Ihrem Tun, Ball, bereiten mir die Filmaufnahmen kein Vergnügen. Sie widern mich vielmehr von Tag zu Tag stärker an.“
    „Und warum filmen Sie dann überhaupt?“
    „Weil sonst niemand und nirgendwo auf der Welt sehen kann, wie es ist, wenn der Mensch zum Monstrum verkommt. Noch gibt es Hoffnung, dass es die Leute zur Besinnung bringt, andere Leute als Sie, Ball. Bei Ihnen scheint alles zu spät. Ihr Bruder wird nicht gerade erbaut sein, wenn er erfährt, was Sie so treiben.“
    Zudeck-Perron war so weit zurückgetreten, wie er konnte, um den Master Sergeant mit dem Kind zusammen ins Bild zu

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