Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
das Srebrenica-Trauma so groß, dass sie sich das Leben nahmen. Genaue zuverlässige Zahlen gibt es nicht. Es gibt auch ehemalige Dutchbatler, die noch regelmäßig nach Bosnien zurückkommen, zum Beispiel um im Urlaub zu helfen beim Wiederaufbau. Der ehemalige Kommandeur Karremans, als Oberst pensioniert, lebt in Spanien. Er hat, wie er selbst sagt, „als Flüchtling“ die Niederlande verlassen.
Doch zurück zu unserer Geschichte und zum Verschwinden des Films. Im Frühjahr 1998 wussten wir also, welche kompromittierenden Bilder auf dem Film waren. Wir kannten den Namen des Fotographen, seine Privatadresse und hatten ein paar Mal kurz mit ihm gesprochen. Einmal hatten wir sogar unangekündigt vor seiner Haustür gestanden. Aber er wollte zum damaligen Zeit auf keinen Fall über seine Srebrenica-Erfahrungen mit uns reden. Bei unserem dritten Versuch, mit ihm ins Gespräch zu kommen, sagte er nur, er habe in der Zwischenzeit beim Verteidigungsministerium um Erlaubnis gebeten, doch das habe ihm jegliches Gespräch mit Journalisten untersagt.
Den Fotographen selbst konnten wir also zum damaligen Zeitpunkt nicht zum Reden bringen. Aber dafür bekamen wir aus einer zweiten, anonym zu haltenden, aber glaubwürdigen Quelle Bestätigung für die Informationen, die wir hatten. Nach Abstimmung mit der Direktion unserer Rundfunkanstalt entschieden wir uns, die Geschichte zum dritten Jahrestag des Falls der Enklave zu senden. Das war am 10. Juli 1998.
Die Sendung schlug ein wie eine Bombe. Der verschwundene Film wurde zum Symbol für die Vertuschungen, die es nach dem Fall von Srebrenica gegeben hatte. Noch am gleichen Abend brachte NOVA unsere Geschichte groß im Fernsehen, mit O-Tönen aus unserer Sendung und einem laufendem Tonband im Bild. Der Sprecher der christdemokratischen Fraktion im Parlament saß im Studio und kommentierte live. Er hatte gleich nach unserer Sendung mit dem Photographen, Dutchbat-Leutnant Ron Rutten, telefoniert. Der fühlte sich nun bestärkt und konnte nicht länger schweigen. Er bestätigte unsere Geschichte mit allen Details und erschien in den Wochen danach sogar selbst im Fernsehen.
Was war geschehen? Leutnant Rutten war wütend, als er im Juli 1995 sah, dass einige seiner Dutchbat-Kollegen beim Abtransport der muslimischen Bevölkerung aus Srebrenica behilflich waren. Er sah dies als Hilfeleistung bei einer ethnischen Säuberung. Auch er sah ein, dass Dutchbat nicht viel an aktivem Widerstand leisten konnte. Aber er war der Ansicht, Dutchbat solle sich in der gegebenen Situation darauf beschränken, das Geschehen so genau wie möglich zu beobachten und zu dokumentieren. Er fotografierte deshalb, wie seine Kollegen den Frauen und Kindern behilflich waren beim Einsteigen in die von den Serben organisierten Bussen.
Unter großen Sicherheitsrisikos schmuggelte Rutten den Film an den Serben vorbei nach Zagreb. Dort sprach er mit dem damaligen Chef der Landstreitkräfte General Couzy über seinen Film. Ein Mitarbeiter des Nachrichtendienstes MID bat Rutten, ihm den Film zu übergeben. Rutten lehnte dies jedoch ab und nahm den Film in seinem Gepäck mit in die Niederlande. Am Flughafen in Soesterberg versuchte der MID erneut den Film von Rutten in die Hände zu bekommen. Aber durch die chaotische Situation am Flughafen misslang dies.
Am nächsten Tag meldete sich dann ein Mitarbeiter des MID an der Haustür von Rutten, um den Film abzuholen. Der Film sei ein wichtiges Beweisstück. Deshalb müsse sichergestellt werden, dass bei der Entwicklung nichts schief gehen könne, und er würde ihn zu einem Fotolabor des Nachrichtendienstes nach Den Haag bringen. Rutten ließ sich überzeugen und gab den Film ab. Am nächsten Tag bekam er einen Anruf aus Den Haag. Der Film sei durch einen Fehler eines Labormitarbeiters falsch entwickelt worden. Die Fotos seien dabei leider komplett vernichtet worden.
Unsere Geschichte, die wie gesagt abends auch groß im Fernsehen lief, in der Sendung NOVA, sorgte für Schlagzeilen. In den Tagen und Wochen danach – wir selbst hatten wegen der Sommerpause leider keine Sendezeit mehr - folgten eine Reihe von NOVA-Sendungen, in denen aufgezeigt wurde, dass der Debriefings-Bericht, der im Oktober 1995 vom Verteidigungsministerium an das Parlament geschickt worden war, eine äußerst einseitige Version war, aus der viele unliebsame Details, über die Dutchbatler berichtet hatten, gestrichen worden waren.
In der Öffentlichkeit entstand das Bild einer großen
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