Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
Iersel, Katholische Universität Brabant)
„Nirgendwo zeigt sich, dass man zuvor eine durchdachte Fragestellung entwickelt, eine Interpretationsstruktur entworfen und einen Zusammenhang realisiert hat.“ (Soziologe J.A.A. van Doorn)]
Am 10.April 2002 wurde die mit großer Spannung erwartete NIOD-Studie, begleitet von einer stundenlangen live-Fernsehsendung, durch den NIOD-Direktor Blom präsentiert. Fünf Tage davor, also am 5. April, sendeten wir eine Geschichte, die sich in den ersten Monaten des Jahres 1995 in New York abgespielt hatte, die eine der wichtigsten Schlussfolgerungen des NIOD in Frage stellte und die in den über 6.000 vom NIOD produzierten Seiten an keiner Stelle auch nur Erwähnung findet.
Im März 1995 häuften sich im DPKO in New York, im Department of Peace Keeping Operations, salopp gesagt: das Verteidigungsministerium der UNO, die Hinweise darauf, dass die bosnischen Serben Vorbereitungen trafen für eine Eliminierung der muslimischen Enklave Srebrenica. Die Militärs im DPKO-Stab überlegten, welche militärischen Optionen es gab, dieser Drohung entgegen zu wirken. Ihnen war klar, dass das leicht-bewaffnete Dutchbat mit knapp 500 Mann keinen Widerstand bieten konnte.
Im Gegensatz zu den Niederländern hatten die dänischen Truppen, die in Tuzla - Luftlinie 70 Kilometer nordwestlich von Srebrenica – stationiert waren, zehn schwere, modernisierte Leopard-Panzer dabei. Mit denen hatten sie bereits erfolgreich zurückgeschossen, als sie im April 1994 von den bosnischen Serben beschossen wurden. Seither kamen die von den Dänen begleiteten Konvois ohne Probleme durch. Die Konvois der Niederländer hingegen wurden immer wieder verzögert, gestoppt und ausgeraubt.
So entwickelten die Militärs im zuständigen DPKO-Stab einen Plan, die dänischen Panzer nach Srebrenica zu schicken. In den Gängen des UNO-Hauptquartiers wurde dies tagelang beratschlagt - mit den Dänen, mit den Niederländern und mit den ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats, vor allem mit den Franzosen, den Britten und den Amerikanern. In diesen Beratungen mit den Mitgliedern des Sicherheitsrats scheiterte das Vorhaben. Vor allem Madeleine Albright, die spätere US-Außenministerin, damals noch amerikanische Botschafterin bei der UNO, lehnte den Plan ab.
Diese Geschichte scheint vielleicht nicht sonderlich spektakulär. Uns kostete es mehr als ein Jahr intensiver Recherchen und diverse aufwändige Reisen, um sie sendereif zu machen. Ihre Relevanz besteht vor allem darin, dass sie eine der zentralen Schlussfolgerungen des NIOD in Frage stellt. Und zwar folgende, jetzt zitiere ich in verkürzter Form die NIOD-Teilstudie zur Rolle der Nachrichtendienste (S.460): „Für Dutchbat und UNPROFOR war der Angriff (…) eine totale Überraschung. (…) Das gilt vermutlich auch für die meisten westlichen Nachrichtendienste. (…) Es bleibt natürlich Spekulation, aber nun ist evident, dass da es bei keinem der Betroffenen Vorkenntnisse gab, ein adäquates Reagieren von vorherein ausgeschlossen war.“
Mit dieser eindeutig klingenden Schlussfolgerung war die NIOD-Studie übrigens auch in Einklang gebracht mit der Srebrenica-Studie der UNO aus dem Jahre 1999. Diese selbstkritische Analyse des UNO-Versagens besagte: „Hätte die UNO nachrichtendienstliche Vorinformationen gehabt, die die Ungeheuerlichkeit der bosnisch-serbischen Ziele offenbart hätten, wäre die Tragödie von Srebrenica möglicherweise zu verhindern gewesen.“
Unsere Geschichte stellte somit eine der zentralen Schlussfolgerung sowohl der UNO als auch des NIOD in Frage. Denn der Plan, die dänischen Panzer zur Verteidigung von Srebrenica einzusetzen, entstand je erst aufgrund der Hinweise auf serbische Angriffsvorbereitungen, die sich spätestens seit März 1995, also gut drei Monate vor Beginn des serbischen Angriffs, zu häufen begannen - nicht nur bei der UNPROFOR-Führung in Zagreb, sondern auch im UNO-Hauptquartier in New York. Das beteuerte ein ehemaliger UNO-Spitzenfunktionär, der in unserer Sendung auch konkrete Beispiele der damals vorliegenden Erkenntnisse auflistete.
Wie haben wir diese Geschichte recherchiert und wie ist es dann weitergegangen? Es begann mit einem Gespräch während einer Reise, mit einer Person, die - wie sich erst im Laufe des Gesprächs herausstellte - im März 1995 als Offizier im DPKO arbeitete. Gegenstand des vertraulichen Hintergrundgesprächs war eigentlich etwas ganz anderes. Zufälligerweise fiel das Stichwort
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