Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
explodierte, sie fand sich an einem Fallschirm hängend, umringt von Möwen, die mit scharfen gelben Schnäbeln die Fallschirmleinen durchbissen. Sie fiel, immer schneller werdend, die Möwen folgten ihr, doch sie verwandelten sich in Tauben, als sie sich näherten. Den gutmütigen Taubenaugen wuchsen Wimpern, die Augäpfel traten hervor, wurden geschlitzt, grausam. Die graublaue Farbe ihrer Gefieder veränderte sich ebenfalls. Anica erkannte, dass sie unten schwarz, oben braun waren, als sie ins Bodenlose fiel.
Die drei Tauben verschwanden, tauchten unter ihr wie aus dem Nichts wieder auf und transformierten sich in die zähnefletschenden Gefräße eines dreiköpfigen Monstrums aus Löwe, Hyäne und Pavian, deren geifernde Rachen sich weit öffneten und zu einem einzigen Schlund vereinten, in den die sich zu Tode ängstigende Journalistin unweigerlich zu fallen glaubte...
17 Im Wohncontainer der Helikopterpilotin
Burkhart lag wach im Bett, horchte auf das sich nähernde Autogeräusch. Als der Wagen vor dem Haus hielt, sprang er auf zum Fenster und zog die Vorhänge auseinander. Ein Blick genügte und er atmete erleichtert auf. Für einen Augenblick dachte er daran, in den Bademantel zu schlüpfen, doch kroch er rasch wieder ins Bett. Er wusste, dass Mary-Jo es nicht mochte, wenn er sich Sorgen machte. Er hörte den Kübel abfahren und seine Frau die Tür aufschließen. Er lauschte auf die vertrauten Geräusche, wenn sie die Mütze ablegte, die Uniformjacke auszog und die Schuhe abstreifte, bevor sie den Kühlschrank öffnete, um die Karaffe mit selbstgemixtem Tomatensaft herauszunehmen.
Auf Strümpfen schlich sie ins Schlafzimmer, hob bedauernd die Achseln und verzog das Gesicht. „So sorry, sweetheart“, flüsterte sie liebevoll, „obwohl ich mir immer die größte Mühe gebe, dich nicht zu wecken.“
Ohne Uniform hätte sie genauso gut Hotelmanagerin oder Krankenschwester sein können, die in Baton Rouge frühmorgens von der Nachtschicht nach Hause kam, um sich zur Ruhe zu legen, das abgespannte Gesicht mit etwas Rouge auf den Wangen nun nachlässig-hastig abschminkend, die Kurzhaarfrisur ein wenig zerzaust. Sie sah ihren Mann an, hob die dünnen Augenbrauenstriche. „Kannst du nicht schlafen?“
„Ehrlich gesagt kann ich nie besonders gut schlafen, wenn du nachts weg bist“, entgegnete er. „Da ich meist so tue, als sei ich gerade aufgewacht, fiel es dir nur nicht auf.“
Sie strich mit der Hand über seine Bartstoppeln. „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du keine Angst zu haben brauchst, wenn ich im Dienst bin?“
„Ich habe immer Angst um dich, wenn du unterwegs bist“, erwiderte er, „und die Maschine besteigst.“
Sie seufzte, griff nach einer Zigarette. Schon der erste Zug schmeckte nicht, sie hatte zu viel geraucht diese Nacht.
„Mach mir´s nicht so schwer“, bat sie. „Schlimm genug, dass der Commander mir immer vorhält: `Kriegführen ist Männersache, lassen Sie sich das von einem alten Fuchs gesagt sein´. Der olle Knochen weiß die Frauen am liebsten zu Hause am Herd, möglichst weit weg.“
„Und nun muss er mit einer Pilotin auskommen...“
„...die einen Softie als Gatten dabei hat, der sich Sorgen macht wie ein weinerliches Hauspumpel.“
„Vielleicht gäbe es weniger Militäreinsätze, wenn die Lebenspartner grundsätzlich immer mitkommen würden.“
Mary-Jo lachte. „Jedenfalls wären sie kürzer. Hätte nicht manche Offiziersfrau gleichzeitig einen Job im Lazarettbereich hier oder drüben in Cervia, wäre sie zehntausend Meilen entfernt daheim, was kaum einer meiner lieben Kollegen lange aushielte.“
„Vor allen du nicht, Mary-Jo, da...“
„Deshalb durfte ich dich ja als Anstandswauwau mitnehmen“, schnitt sie ihm grinsend das Wort ab. „Bell mal, Burky!“
Burkhart schmollte. Vor wenigen Tagen, in der Nacht zum ersten Augusttag, war sie um Haaresbreite dem Tod entkommen. „Ich muss immer an den letzten Juliabend denken, my Love“, sagte er. „Nie hast du mir Einzelheiten über jene Nacht erzählt...“
Sie schwieg. Damals waren plötzlich aus der samtenen Dunkelheit Werfergranaten von den Bergen zwischen den abgestellten Helikoptern eingeschlagen. Sie hatte sich in Startbereitschaft im Pilotensitz ihrer Maschine angeschnallt und war vor Schreck wie gelähmt gewesen, als ringsum die aufzuckenden Detonationen Flugmaschinen zertrümmert und Brände entfacht hatten, die in Windeseile von auslaufendem Treibstoff genährt zu himmelhohen Flammenwänden
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