Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
anzupassen, so blendend sich auch ihre islamischen Gegner erfolgreich dem feindlichen Verhalten stellten. Es hatte wenig Sinn, sich etwas vorzuspiegeln: Die sogenannten Schutztruppen wurden zwischen den verfeindeten Parteien aufgerieben; sie waren in diesem Land von Feindseligkeit umgeben, darüber konnten lächelnde oder unterwürfige Gesichter nicht hinwegtäuschen. Und die einheimischen Führer waren in ihren eigenen Reihen ebenso machtlos wie bei anderen Volksgruppen unbeliebt. Wer eine Beruhigung der Verhältnisse erwartete, eine Stabilisierung der politischen Macht sowie das Schweigen der Waffen, befand sich im Irrtum. Die Soldaten hielten sich an die relativ gute Löhnung, die der Dienst mit sich brachte. Jedoch war ihr Leben, das bekamen sie zu spüren, sobald sie in das erste heiße Gefecht verwickelt wurden, keinen Schuss Pulver mehr wert. Der Gegner, der nicht einmal aus dem Schatten der schluchtenzerklüfteten Berge trat, um erbarmungslos zuzuschlagen, war mit den militärischen Mitteln der UN nicht zu fassen. Die Hayward-Balls hegten die Erwartung, dass man sich endlich zu dem Entschluss durchringen mochte, die serbischen Stellungen öfter zu bombardieren, noch mehr hofften sie freilich, zusammen mit ihrer Haut den Sold nach Hause hinüberzuretten.
Mary-Jo war beileibe keine Schafsnase, die nicht wusste, worauf sie sich eingelassen hatte, als sie hierher gegangen war. Oft genug hatte sie den Worten ihres Vaters, eines dekorierten Veterans, gelauscht, um zu wissen, dass es galt, die Zeit unbeschadet zu überstehen. Darin bestand ihre einzige Ideologie und war gleichzeitig ihr praktisches Programm, das sie wie ein Bordcomputer ihrer Maschine herunterzuspulen trachtete. Doch Burkhart machte es ihr schwerer als die Soldatenfrauen ihren Männern, wofür sie Verständnis aufbrachte. Doch was half es, immer und immer wieder darüber nachzugrübeln? Für ihn kam es darauf an, ihr moralisch den Rücken freizuhalten, für sie, gut zu pilotieren und keinen Fehler zu begehen. An die Gefahr, einmal als Geisel genommen und an einen Munitionsschuppen gefesselt zu werden wie schon manch anderer der UN-Truppe, wagte das Ehepaar nicht zu denken, geschweige denn darüber zu reden.
„Schlafen wir jetzt ein bisschen“, sagte Mary-Jo. Sie ließ sich von ihrem Mann die angerauchte Zigarette aus der Hand nehmen, sah, wie er sie im Aschenbecher zerdrückte.
„Ich werde den Brief an Mammy schreiben“, sagte Burkhart aufstehend. „Schlafen kann ich ohnehin nicht mehr, Darling. Ich stelle dann die Kaffeemaschine an.“
Mary-Jo brummelte etwas von Wohnzimmer aufräumen, ohne die Augen zu öffnen. Burkhart schlüpfte aus dem Pyjama, betrachtete sich im Spiegel. Ich nehme zu, dachte er, besah seinen leicht behaarten Körper, bemerkte daneben das Spiegelbild seiner schlafenden Frau. Er fand sie attraktiv, mit wohlproportioniertem Körper, gleichmäßig ovalem Gesicht, wasserblauen Augen unter geschweiften, dunkelblonden Brauen, gerader Nase und vollen, ebenmäßig geschwungenen Lippen, die Mary-Jos Antlitz nicht davor bewahrten, in anderen Augen als denen ihres Mannes harmonisch-langweilig auszusehen. Es reicht, wenn einer von uns beiden schön ist, überlegte Burkhart, aber später, in nicht allzu ferner Zukunft, sollten wir ein Kind haben. Er ging zum Bad hinüber. Gedankenvoll blickte er auf die Ansammlung kosmetischer Artikel. Er musste zugeben, dass mittlerweile mehr als die Hälfte dieser raffiniert ausgeklügelten, in buntes Plastik verpackten Dinge für seinen eigenen Luxus zur Verfügung standen, die er so selbstverständlich einkaufte wie den Lippenstift für seine Frau. Er war auf eine Bahn geraten, die nicht mehr mit früheren Vorstellungen in der Berliner Subkultur seiner Heimat übereinstimmten. In sein Leben war eine attraktive Frau namens Mary-Jo Hayward getreten, die er liebte und die ihm eine ruhige, verständnisvolle Partnerin war, so wie sie sich ihrerseits auf ihn verlassen konnte. Es gab das Zuhause in Mandleville am Lake Pontchartrain gegenüber New Orleans, das Flugmaschinenunternehmen ihres Vaters, einen umfangreichen Bekanntenkreis, sonntägliche Picknicks am Meer, allabendliches Tennisspiel auf eigenem pflegeleichten Hartplatz, die Weekendpartys sowie dann und wann eine Reise in die Rocky Mountains oder an die Großen Seen. Doch das lag weit weg. Die Gegenwart bedeutete der Black Hawk, den Mary-Jo pilotierte, der Talkessel Sarajevos und die Angst. Es war der Preis für alles andere. Er war zu hoch.
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